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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe
Autoren: Katrin Tempel
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Das sieht gar nicht gut aus!«
    »Ich stell mich erst einmal unter die Dusche«, wehrte ich ab. »Ich friere wie ein Schneider, und ich wette, wenn das erst einmal ordentlich sauber ist, sieht das nur noch halb so wild aus.«
    »Wenn du meinst«, sagte Sandra zögernd. »Aber wenn du doch noch in die Notaufnahme möchtest, dann gib Bescheid. Ich fahre dich eben hin, kein Problem.« Demonstrativ schob sie ihre Bierflasche weg. »Ich trinke nichts, bis du geduscht hast und dir sicher bist, dass du keine Hilfe brauchst. Sei vorsichtig – von so etwas kann man hässliche Narben behalten.«
    »Dann muss Lena eben doch mit ihrem schönen Charakter überzeugen«, feixte Ben, dem es ohnehin schwerfiel, irgendetwas mit dem nötigen Ernst zu betrachten.
    Ich streckte ihm die Zunge heraus. »Idiot. Und danke für dein Mitgefühl!«
    Damit verschwand ich in meinem Zimmer, machte hektisch Licht und holte das Buch aus meiner Tasche. Für einen Moment war ich erleichtert. Der lederne Umschlag war etwas feucht und dreckig – aber sah unversehrt aus. Vorsichtig schlug ich das Buch auf. Und holte tief Luft. Der Buchdeckel hing nur noch mit ein paar Fasern am Buchrücken fest. Durch die Wucht des Aufpralls war er fast vollständig abgerissen. Das war mehr als nur ein bisschen Schmutz. Das war ein Buch, das ordentlich restauriert werden musste.
    Vorsichtig drehte ich es um. Quer über die Rückseite ging ein Riss, in dem noch etwas Erde und Gras klebte. Meine dreckigen Finger hinterließen auf dem Papier der Innenseite einen dunklen Abdruck. Entsetzt schloss ich die Augen. Ich konnte dieses Wrack auf gar keinen Fall unauffällig wieder ins Regal zurückstellen.
    Aus dem Spiegel an meinem Kleiderschrank sahen mich erschrockene grüne Augen an, der Rest des Gesichts war wegen des Drecks und des Blutes fast nicht zu erkennen. Ich sah mindestens so schlimm aus wie das Buch auf meinem Schreibtisch. Mit dem Unterschied, dass sich für meine Verletzungen wohl kaum eine Universität interessieren würde.
    Entschlossen öffnete ich eine Schublade, holte ein sauberes Handtuch heraus und wickelte das Buch erst einmal ein. Als Erstes sollte ich mich um mich selbst kümmern. Dann würde ich weitersehen.
    Schnell streifte ich mir die nasse Kleidung vom Körper, schnappte mir ein weiteres Handtuch und verschwand in unserem Badezimmer. Vorsichtig ließ ich mir das warme Wasser über das Gesicht laufen. Es brannte wie Hölle, aber der Spiegel zeigte mir, dass ich nur eine harmlose Schürfwunde auf dem Wangenknochen hatte. Sah hässlich aus, aber würde sicher wieder ordentlich verheilen. Ich tupfte mir ein wenig Ringelblumensalbe darauf, die ich auch bei kleinen Kratzern aus dem Garten immer einsetzte.
    Das Knie wurde allmählich dicker und war auch ein wenig blau – aber ich beschloss, es unter »Prellung« zu verbuchen. Während ich den tiefen Kratzer an meiner linken Hand untersuchte, hörte ich auf dem Flur unser Telefon. Sekunden später klopfte es.
    »Deine Mutter. Kannst du sprechen?« Toms Stimme.
    Ohne lange nachzudenken, öffnete ich die Tür und streckte meine Hand heraus. »Sicher, immer her damit.«
    »Hallo, Schatz, wie geht es dir?«
    Erst als ich die mitfühlende Stimme meiner Mutter hörte, wurde mir wieder bewusst, wie schrecklich dieser Tag verlaufen war. Probleme an der Uni, Streit mit Erik, Gesicht und Knie zerschrammt – und jetzt auch noch das Buch … Mir stiegen die Tränen in die Augen. Ich wickelte mich fest in mein feuchtes Badehandtuch und ließ mich langsam auf den Boden gleiten. Mit dem Rücken gegen die Badewanne gelehnt, holte ich tief Luft.
    »Nicht so gut …«

2.
    K ein Mensch auf dieser Welt kennt und versteht mich so gut wie meine Mutter. Das sagt wahrscheinlich jeder, aber bei mir stimmt es wirklich. Als ich noch kleiner war und ständig mit aufgeschlagenen Knien aus dem großen Garten hinter dem Haus angerannt kam, hielt sie Pflaster und Arnikatinkturen für mich bereit. Später, als ich mich ständig unglücklich in die Jungs verliebte, die sich kaum an meinen Namen erinnerten, konnte ich mir immer sicher sein, dass sie mit wenigen Worten meinen Weltschmerz lindern würde.
    Meine Eltern leben in einem alten renovierten Bauernhof. Wobei »renoviert« ein relativer Begriff ist. Tatsächlich ist es eine Dauerbaustelle, die sie – so lange ich denken kann – mit wechselndem Elan bearbeiten. Immer, wenn ich mir sicher war, dass sie endlich fertig sein müssten, fing meine Mutter ein neues Projekt an.
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