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Holunderküsschen (German Edition)

Holunderküsschen (German Edition)

Titel: Holunderküsschen (German Edition)
Autoren: Martina Gercke
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Spiegel an und will noch einmal den Kajalstrich auffrischen, als ... Das kann nicht sein! Der Stift fällt mir aus der Hand und hinterlässt einen schwarzen Streifen auf meiner weißen Bluse. Das bemerke ich allerdings erst viel später, denn all meine Sinne sind in dieser Sekunde damit beschäftigt, einen Schock zu verarbeiten. Sehr erfolgreich sind sie damit nicht. Ich starre mit weit aufgerissenen Augen in den Rückspiegel, obwohl das Pärchen, das mich in diesen Zustand versetzt hat, längst verschwunden ist.
    „Das kann nicht sein. Bitte, lieber Gott, mach, dass das nicht wahr ist“, flüstere ich. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass Gott mich hört. In letzter Zeit scheint er mit wichtigeren Dingen beschäftigt zu sein, als auf meine Gebete zu achten.

9
     
    Die Fahrt nach Hause lege ich wie ein Zombie zurück. Während mein Körper mechanisch die notwendigen Handgriffe erledigt, wiederholt sich vor meinem inneren Auge immer wieder die gleiche Szene: Ron und diese Frau gehen Arm in Arm über den Hotelparkplatz und dann bleiben sie stehen und küssen sich. Im Geiste schmücke ich das Ganze aus, stelle mir vor, wie sie ins Hotel hineingehen, zusammen im Bett liegen und diverse Zärtlichkeiten austauschen. Ron, der ihr ins Ohr flüstert, dass er noch nie so tollen Sex hatte … Bei dieser Vorstellung fahre ich fast gegen einen Baum, aber irgendetwas, vielleicht der grundlegende Überlebensreflex, zwingt mich dazu, das Steuer gerade noch rechtzeitig herumzureißen.
    Und dann bin ich endlich in Kronberg. Ich betrete unser Heim, lasse die Haustür hinter mir ins Schloss fallen, schleppe mich die Treppe hinauf in unser Schlafzimmer und verkrieche mich ins Bett. So ähnlich müssen sich Schlafwandler fühlen. Nicht ganz da, aber auch nicht in vollkommenem Tiefschlaf. Schlaf! Das ist genau das, was ich jetzt brauche. Eintauchen in das Vergessen, einfach für eine Weile nicht Teil dieser Welt sein. Morgen, wenn es hell ist, ist alles wieder in Ordnung. Morgen werde ich feststellen, dass ich geträumt habe. Dass Ron auf Geschäftsreise ist. Genauso, wie er es mir erzählt hat.
    Ron ist in Brüssel!
    Der Gedanke setzt sich in meinem Kopf fest. Mit einem Mal überkommen mich Zweifel, gefolgt von schlechtem Gewissen. Ich habe nur kurz in den Rückspiegel geblickt. Warum also bin ich mir so sicher, tatsächlich Ron mit dieser Fremden gesehen zu haben?
    Mit dem Handrücken wische ich die letzten Tränen ab. Natürlich war es nicht Ron! Ich bin überspannt. Der Stress der letzten zwei Tage, die fast schlaflose Nacht, die Sorgen und Ängste, mit denen ich mich herumschlagen musste, verursachen, dass ich überreagiere. Es ist nicht weiter erstaunlich, dass ich mit den Nerven am Ende bin. Und mir Dinge einbilde, die gar nicht passiert sind. Ron ist in Brüssel! Der Mann auf dem Hotelparkplatz hat ihm ähnlich gesehen, aber das ist auch schon alles.
    Entschlossen rappele ich mich auf, schlage die Bettdecke zurück und wanke ins Badezimmer. Aus dem Spiegel sieht mir eine jämmerliche Figur entgegen. Meine Haare sind ein einziger wirrer Albtraum, während mein Gesicht mit roten, geschwollenen Augen glänzt. Super! Von meiner total zerknitterten schmutzigen Bluse gar nicht zu reden.
    Mit kaltem Wasser versuche ich, die Spuren meines Zusammenbruchs zum Verschwinden zu bringen. Es hilft nicht viel, aber ich fühle mich ein wenig besser, als ich mich von meinem traurigen Spiegelbild abwende und nach unten gehe.
    Im Keller angelangt, mustere ich die üppige Auswahl an teuren Flaschen, die sorgfältig aufgereiht vor mir liegen. Zum Glück hat Ron die Vorräte bestens organisiert, und so weiß ich genau, wo die guten Weine zu finden sind.
    Mit einer Flasche in der Hand steuere ich das Wohnzimmer an, hole mir ein Glas und lasse mich mit einem tiefen Seufzer in einen Sessel fallen. Dann ziehe ich mit langsamen, methodischen Bewegungen den Korken, schenke mir großzügig ein und nehme einen tiefen Schluck. Der samtige Geschmack explodiert in meinem Mund. Noch besser aber ist das angenehm entspannte Gefühl, das sich nach einigen weiteren Schlucken wie eine kuschelige Decke über mich zu legen beginnt.
    Leider hält die Entspannung nicht lange an. Das Bild von dem Pärchen, das sich innig umarmte, ist hartnäckig. Es schiebt sich immer wieder in meine Gedanken, und jedes Mal nehme ich einen weiteren Schluck von dem rubinroten Getränk. Das wirkt … für ein paar Sekunden jedenfalls, dann schleicht sich eine andere Erinnerung in meinen
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