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Holunderküsschen (German Edition)

Holunderküsschen (German Edition)

Titel: Holunderküsschen (German Edition)
Autoren: Martina Gercke
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schafft sie es, in diesen wenigen Worten jede Menge Emotionen mitschwingen zu lassen. Ich kann sie förmlich vor mir sehen, wie sie mir mit strafendem Blick zu verstehen gibt, dass ich gerade dabei bin, einen riesigen Fehler zu begehen. Und dieses Mal hat sie sogar recht.
    Meine Mutter beendet das Gespräch wie üblich abrupt, ohne sich mit Abschiedsfloskeln aufzuhalten. Mit einem tiefen Seufzer lasse ich mich auf die Couch sinken. Noch mal Glück gehabt. Wenn sie erst einmal auf dem Weg zu mir ist, gibt es kaum etwas, was sie von ihrem Vorhaben abbringen kann. Trotzdem muss ich unbedingt die Leiche aus dem Haus schaffen, bevor meine Mutter es sich anders überlegt und doch noch vorbeikommt. Aber erst muss ich den Schlosser anrufen. Ich will neue Schlösser, und zwar heute noch.
     
    „Verdammt, verdammt, verdammt!” Das ausgiebige Fluchen ist das Einzige, was mich in dieser Situation ein wenig von meiner Anspannung befreit.
    „Wo ist das verflixte Ding?“ Mit einem verzweifelten Blick suche ich die Garage ab. Die Abdeckplane des Swimmingpools lässt sich nirgends finden. Kein Wunder, Ron hat sie irgendwo verstaut. Stunden später – so kommt es mir zumindest vor – fällt mein Blick auf ein ordentlich zusammengelegtes blaues Paket, das in der hintersten Ecke eines Regals liegt.
    Die Plane ist schon ziemlich zerschlissen, weshalb wir sie wegwerfen wollten. Jetzt habe ich die perfekte Verwendung dafür gefunden. Niemand wird sie vermissen, sondern denken, sie sei auf dem Sperrmüll gelandet, nicht ahnend, dass eine Leiche darin vermodert, während das Plastik wahrscheinlich in hundert Jahren biologisch noch nicht abgebaut sein wird.
    Egal. Ich bin heute nicht in der Stimmung, mich um Umweltverschmutzung zu sorgen. Stattdessen ziehe ich ein Paar Gartenhandschuhe an und zerre das Teil aus der Garage hervor, schleife es über die Terrasse ins Haus und zur Esstheke. Dorthin, wo der Tote noch immer auf seinem Barhocker sitzt.
    Okay. Ein tiefer Atemzug. Dann noch einer. Er ist schon tot. Ich tue ihm nicht weh. Am besten kippe ich ihn vom Hocker auf die Plane. Genau.
     
    Mit einem dumpfen Schlag fällt er auf das Plastik. Mir dreht sich der Magen um und ich übergebe mich, aber nicht auf den weißen Teppich, sondern in den großen Blumenkübel, der direkt neben mir steht. Es dauert ziemlich lange, bis ich keine Sternchen mehr sehe. Fast bedauere ich, dass ich weitermachen kann. Irgendwie war es angenehmer, hilflos herumzustehen, denn das hat mich davor bewahrt, etwas tun zu müssen.
    Jetzt aber muss ich ihn in den Garten bringen. Obwohl ich weiß, dass mir nichts anderes übrig bleibt, kann ich mich nicht dazu motivieren, diese Absicht in die Tat umzusetzen. Erst nach langem innerlichem Zureden ziehe ich eine Hälfte der Plane über den reglosen Körper. Das ist besser, denn jetzt ist er unter der Abdeckung nur noch zu erahnen und starrt mich nicht mehr anklagend an. Dann fasse ich die Abdeckung an einer Ecke, die so weit wie möglich von dem darauf liegenden Körper entfernt ist, und schleife das Ganze hinter mir her.
    Ist das schwer. Ich schwitze, als wäre ich in der Sauna gewesen. Dabei bin ich noch nicht einmal über die Terrasse hinausgekommen.
    Keuchend bleibe ich stehen und wische mir den Schweiß ab. Und dann weiter. Noch mindestens hundert Meter. Wenn ich in diesem Tempo weitermache, brauche ich dafür den ganzen Tag.
     
    Und dann höre ich es. Schon wieder.
     
    Die Türklingel.
     
    Scheiße. Scheiße. Scheiße. Wenn das noch mal die Polizei ist, kann ich mir gleich lebenslänglich geben lassen.

5
     
    Die Leiche muss weg. Zumindest so weit, dass sie von der Terrasse aus nicht mehr zu sehen ist. Ich komme mir vor wie ein chinesischer Kuli. Jetzt weiß ich, wie es sich anfühlt, fette Touristen in einer Rikscha durch die Gegend zu kutschieren.
    Wieder das Klingeln. Verdammt. Fünf Meter noch. Plötzlich ein Geräusch, das mir eine Gänsehaut über den Rücken jagt.
    Die Türschlösser öffnen sich. Eines nach dem anderen. Da unser Eingang wie Fort Knox gesichert ist, dringen die Geräusche bis hier auf die Terrasse. Das kann nur meine Mutter sein.
     
    Zwei Meter noch.
     
    Der große Balken, der quer über der Tür liegt, quietscht. Den sollte Ron schon seit über einem Jahr ölen.
     
    Eineinhalb Meter.
     
    Jetzt fehlt nur noch das obere Schloss. Das Geräusch ist eigentlich zu leise, um es zu hören. Ich könnte schwören, dass ich das leise Klicken  trotzdem wahrgenommen habe. Jetzt ist sie
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