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Hohe Wasser

Hohe Wasser

Titel: Hohe Wasser
Autoren: Eugenie Kain
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Auge mit den schwarzen Schiffen, bekam ich eine Ahnung davon, dass jeder Mensch Bedeutung hat.
    Wenn im Radio nach langen Frosttagen gemeldet wurde, dass die Bayrischen Krapfen kommen, sind wir Kinder losgezogen auf die Eisenbahnbrücke, unter uns dicke Eisschollen, die sich an den Brückenpfeilern aufstellten, übereinander legten und verkeilten. Dabei krachte und knirschte und stöhnte das Eis. Ein kleiner Schrecken blieb immer, denn wir hatten in Heimatkunde gelernt, dass vor den Regulierungen und Stauwerken Eisstöße Brücken mitgerissen und die Ufer abrasiert hatten. Jetzt treiben nur vereinzelt träge, wasserhelle Schollen in der Donau. Es gibt keinen Eisstoß mehr.
    Aber sie haben die Donau nicht ganz im Griff. Das beruhigt mich. Der Pegelstand geht auf die 800er Marke zu. Das Wasser steigt und leckt über die Straße unter mir. Hier haben wir gelernt, mit dem Wasser zu leben. Die Sandsäcke sind gestapelt als Damm, vor den Türschwellen und Fensterbrettern, die Keller sind ausgeräumt, die Möbel vom Erdgeschoß auf den Dachboden geschafft.
    Der Handchirurg möchte operieren. Das Mondbein weist mich hinein in eine neue Welt. Vor drei Tagen habe ich noch nicht gewusst, dass es Chirurgen gibt, die sich auf Sehnen, Muskeln und Knöchelchen der Hand spezialisiert haben. Sie nähen Daumen und ganze Hände wieder an. Mir steht eine Reihe von Untersuchungen bevor. Es gibt einen Plan. Ein Stück vom Hüftknochen kommt an Stelle des Mondbeines in die Hand, die Speiche wird gekürzt und dann wird geschraubt und geschient. Aber es gibt keine Erfolgsgarantie. Die Hand kann steif werden, der Schmerz bleiben. Was mache ich mit einer steifen rechten Hand? Was mache ich, wenn die Schmerzen nach der Operation nicht nachlassen?
    Krankenstand, so etwas gibt es bei uns nicht, das weißt du, ja?, sagte der Jasager, und schon hatte ich den Brief. Ich bin draußen. Der Arbeit hänge ich nicht nach. Jetzt kann ich ausschlafen. Ausrasten. Und dem Wasser zuschauen, wie es steigt. Immer die Hände im Eiswasser. Immer die kalte, zugige Halle. Immer der Fischgeruch. Der Arzt sagt, mein Mondbein stirbt, weil es zu wenig durchblutet ist. Es wird zu wenig durchblutet, weil ich meine Hände nicht geschont habe. Das kann passieren, wenn man als Einlegerin arbeitet. Auch Kassiererinnen trifft der Mondbeintod und Arbeiter, die mit dem Presslufthammer arbeiten. Aber unmittelbare Zusammenhänge können nur schwer nachgewiesen werden. Da werde ich laufen müssen. Für die Anerkennung einer Berufskrankheit gibt es klare Bestimmungen. Mindestens zwei Jahre dieselbe Tätigkeit. Das geht sich knapp nicht aus. Vor zwei Jahren habe ich für eine andere Firma Bananen verpackt und Bananenkisten geschleppt. Dann kam ich in die Firma zum Jasager. Er zahlte meiner Verleihfirma Ablöse und übernahm mich als Einlegerin in die Stammbelegschaft. Es war ein beruflicher Fortschritt. Endlich längere Zeit in ein und derselben Firma arbeiten. Kolleginnen kennen lernen. Mit dem Geld etwas mehr Spielraum haben. Ich war die einzige Österreicherin. Neben mir und mir gegenüber Türkinnen, Afrikanerinnen, eine Vietnamesin, eine Bulgarin, eine Ukrainerin. Manche Frauen sprachen gut Deutsch, manche gar nicht. Mich schienen alle zu verstehen, und sofort war ich die Vorarbeiterin. Die Frauen hatten Respekt vor mir und dachten mir einen Einfluss zu, den ich nie besaß. Eine Zulage gab es nicht. Der Jasager war der Ansicht, es genügt, wenn ich die Österreicherin herauskehre, und das sei ja noch keine Leistung, ja? Mit der Ukrainerin bin ich schnell warm geworden. Ludmilla hat sich durchschlagen müssen. Sie spricht gut Deutsch. Auch sie kann in Wirklichkeit viel mehr als Fische wickeln, wie die meisten hier. Eine Afrikanerin hat Wasserbau studiert, die Bulgarin war Lehrerin. Im Sommer legen wir Sauergemüse ein. Gurken, Kraut, Paprika, Zwiebel. Über den Winter werden Saisonarbeiterinnen hereingenommen, denn der Winter ist die Saison der Garnelen und Heringe. Die Garnelen kommen in großen, gefrorenen Blöcken zu uns. Wir legen die Eisblöcke in Wasser, bis sich die Garnelen voneinander lösen. Die Garnelen werden von weit hergebracht, aus Thailand und aus Grönland. Manche tragen noch ein Stück Schale am Schwanz, es gibt Riesengarnelen, außerdem Flusskrebse und Muscheln. Nach dem Eisbad schöpfen wir die Garnelen in den Sud und lassen sie ziehen. Schwimmen die Garnelen abgefüllt in ihren Bechern, sind die Heringe an der Reihe. Zwei Finger breit Zwiebeln und eine
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