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Hohe Wasser

Hohe Wasser

Titel: Hohe Wasser
Autoren: Eugenie Kain
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Zeichenlehrerin, die ich zufällig im Autobus getroffen habe, schwärmte, dass ich eine ihrer Besten war und unbedingt etwas machen muss aus meinem Talent. Da habe ich längst in der Brillenfabrik gearbeitet und nicht mehr nachgedacht über Farbgestaltung, Pinselstrich und räumliche Darstellung, sondern Brillenfassungen zusammengeschraubt. Ich habe mich abgefunden damit, dass ich bei den Männern keine gute Hand habe und immer den Kürzeren ziehe. Beim Zigarettenholen lerne ich einen Mann kennen, und ich weiß sofort, der ist es. Drei Tage kommen wir nicht aus dem Bett heraus, dann schlägt er eine Fahrt auf den Pöstlingberg vor. Oben lädt er mich ein zu einer Runde Grottenbahn. Wir gehen zuerst zur Aussichtsrampe. Die Berge sind ganz nah. Es ist föhnig und die Stadt unter uns wie aus dem Baukasten. Ich suche das Haus in der Berggasse. Wo wohnst du?, frage ich ihn.
    Er sagt mir, wir hätten uns früher kennen lernen sollen, seine Freundin ist schwanger. Es hängt viel dran an dem Mondbein. Das Mondbein überträgt die Kraft von der Hand auf den Unterarm, auf Elle und Speiche. Bei mir ist statt der Kraft ein Schmerz, als ob die Sehnen über blanke Knochen scheuern.
    Dabei hätten wir Grund zum Feiern. Die Straße ist gesperrt. Wir können uns zwar nicht hinuntersetzen, weil es regnet. Es regnet schon die zweite Woche. Aber es ist ruhig. Ich öffne die Fenster und höre nichts anderes als das Rauschen. Der Regen rauscht, die nassen Blätter im Nussbaum rauschen, die Donau rauscht. Die Schiffe fahren seit Tagen nicht mehr. Im Frühjahr ist die Straße gesperrt, wenn die Frostschäden beseitigt werden. Das Eis im Winter frisst sich in die Urfahrwand, und wenn es taut, sitzen die Felsbrocken locker. Eine Katastrophe, wenn sie auf die Straße poltern. Deshalb wird die Straße gesperrt und die Felswand ausgeputzt. Der Schneckenkönig und ich stellen den Campingtisch auf die Straße, zwei Klappsessel, wir machen uns Musik, trinken Bier, hören den Stromgitarren zu und strecken die Füße aus. Die Straße gehört uns. Das Jahr über nimmt sie uns alles. Die Ruhe, die Luft, den Schlaf. Es beginnt gegen vier in der Früh und hört in der Nacht auch nicht richtig auf. Oft stehe ich am Gehsteig, weil ich nicht über die Straße komme, und schaue, wer da hinter den Windschutzscheiben sitzt. Abwesende Gesichter, stumpfe Augen. Sie haben ein anderes Ziel und nehmen nichts wahr außer den Bremslichtern vor ihnen und ein paar Verkehrszeichen. So rollen sie durch die Rudolfstraße und ärgern sich, wenn die Ampel auf rot schaltet und sie zum Stehen kommen in einer Straße, von der sie sagen, da möchte ich nicht wohnen. Oder sie fahren gleich die Donau entlang, ein gelber Glühfaden fädelt sich morgens unter der Nibelungenbrücke durch zum Abstellplatz auf dem Jahrmarktsgelände. Zurück bleibt der Blechpanzer, und am Abend kriecht die Schlange wieder durch die Rudolfstraße stadtauswärts. Schon lange wird von einer weiteren Donaubrücke geredet. Wenn die Brücke gebaut ist, führen die Zubringer an Schlafzimmerfenstern von Leuten wie mir vorbei. Nie staut sich der Verkehr durch ein Villenviertel.
    Selbst bei Sonnenschein könnten wir den Tisch nicht hinunter auf die Straße stellen, weil das Wasser kommt. Die Straße ist bereits stellenweise überschwemmt. Das Wasser steigt. Nichts geht mehr. Keine Eisenbahn, keine Autobusse, keine Autos. Jetzt bleiben die Häuselbauer und Reihenhausbesitzer daheim in ihren schmucken Häusern mit den geschorenen Rasen und dornigen Hecken. Auch im Mühlviertel sind die Flüsse und Bäche über die Ufer getreten. Überschwemmung überall. Wer unbedingt in die Stadt fahren muss, kommt nur von hinten über den Berg herein. Die Rudolfstraße ist verändert. Sie wirkt breit und stattlich. Man sieht es ihr an, dass sie einmal eine Prachtstraße war, bevor sie zum Korridor für Pendler und Schwerverkehr verkommen ist. Da und dort ist ein schmiedeeiserner Balkon zu sehen, eine Geschäftsaufschrift, die Einfahrt zu einer Werkstatt. Aber niemand stellt Pflanzen auf den Balkon, die Geschäftsaufschrift ist verblasst, die Einfahrt zur aufgelassenen Werkstatt zugeparkt. Das letzte Lebensmittelgeschäft betreibt ein Türke, und sogar er stellt seine Orangenpyramiden und Melanzanikisten hinten im Hof aus. Hier, in diesem Abschnitt der Straße, wohnen viele, denen keine andere Wahl bleibt. Sie wohnen im Frauenhaus, im Flüchtlingsheim, in der Startwohnung für Obdachlose, und sind ebenfalls nur auf
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