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Hohe Wasser

Hohe Wasser

Titel: Hohe Wasser
Autoren: Eugenie Kain
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noch im Bach geschwemmt. Geblieben waren ihr davon aufgesprungene, rote Hände mit Knotenfingern und entzündete Eierstöcke. Durch das kalte Wasser war alles chronisch geworden. Mit vierundzwanzig wusste sie, dass es für sie kein Kinderkriegen gab. Das war den Bach hinunter.
    Das Haus in der Fischergasse wurde renoviert, bis sogar der Grundriss verändert war. Dachbodenausbau, Wohnungszusammenlegung, Trockenlegung, Wärmedämmung, Lift, Garage. Sie machten mit dem Haus, was man mit einem Haus machen kann, wenn Geld da ist. Und Geld war da. Es gab genug Leute, die sich das Wohnen an der Donau etwas kosten lassen wollten, wenn die Rattenburgen verschwanden. Jetzt stellen Hausparteien in meiner ehemaligen Wohnung, in der wir mit der Gitarre unterwegs nach Süden waren, Fahrräder und Kinderwägen ab.
    Im Tal war es weniger feucht. Die schmale Gasse stößt auf die höher gelegene Rudolfstraße. Der Verkehr donnerte an den Fenstern im ersten Stockwerk vorbei. Bei schweren LKWs sprang die Nadel des Plattenspielers, sonst klirrten Gläser und Bierflaschen, und die Fensterbank war trotz geschlossener Fenster immer rußig. Der Lärm hatte auch Vorteile. Im Schlafzimmer stand ein Schlagzeug der Marke Ludwig mit Becken und Fußtrommel, und der Schlagzeuger übte verbissen mit einem Metronom und mit offenem Mund. Einmal in der Woche stellte sich der Schlagzeuger den Wecker, um im Morgengrauen mit dem Fahrrad zum Versandhaus zu fahren. Dort verteilte er Flugblätter. Die Arbeiterinnen, die meisten kamen mit Bussen aus dem Mühlviertel, machten einen Bogen um ihn, wenn sie ihn stehen sahen. Der Schlagzeuger gab schließlich auf. Mit mir sprach er wenig über Politik, dazu ging er in seine Sektion. Was willst du?, hätte ich ihm gesagt, weil ich es gewusst habe. Die Leute wollen sich nicht befreien lassen und auch nicht mit Bewusstsein erfüllen. Die wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, und dafür der eine oder andere Krümel abfällt. Alles andere irritiert. Außerdem: Wer ist schon gerne Proletariat, vor allem, wenn er aus dem Mühlviertel mit dem Bus zur Arbeit muss? Nach der Politik gab der Schlagzeuger das Schlagzeugspielen auf. Er kam nur mehr selten zu mir und blieb schließlich ganz aus. Das Schlagzeug ließ er abholen, und wenn wir uns über den Weg liefen, grüßte er flüchtig, als hätten wir nie eine gemeinsame Zeit gehabt.
    Auch der Schneckenkönig hat seine Meinung von der Politik. Manchmal achten wir nicht darauf und sind plötzlich in einer Nachrichtensendung. Es dauert nicht lange, und ein Politikerkopf kommt ins Bild. Auch ich habe mir angewöhnt zu zielen. Der Schneckenkönig schießt mit einem Maschinengewehr aus der Hüfte. Ich drücke mit dem Revolver ab. Peng, peng. Wir wollen nicht hören, was da gesprochen wird, über uns sprechen sie nicht. Wir schießen und bleiben schussbereit, auch beim nächsten Beitrag.
    Ich gewöhne mich nicht an den Verkehr. Immer ist da das Gefühl, das nächste Auto bricht durch die Wand. Das Quietschen der Eisenbahn, die sich auf den Schienen Richtung Donau in die Kurve legt, ist erträglicher, aha, jetzt ist es halb acht. Man braucht keinen Wecker. Für den Sprung über die Straße in die Berggasse musste ich nicht lange überlegen. Ich wohne wieder im letzten Haus, jetzt ein paar Meter oberhalb der Straße auf dem Fels, die Gasse ist auf dieser Seite eine Sackgasse, hinter dem Haus beginnt der Wald, nur ein Fußgängerweg führt hinunter zur Straße, die die gewachsene Fortsetzung der Talgasse auf der anderen Seite gekappt hat. Das Haus ist weniger feucht und weniger laut, ein Zimmer, auf dem Gang der Kühlschrank, Sub-Standard, aber mit Blick auf die Donau. Das Haus ist ein Durchzugshaus. Der Vermieter hat mich gefragt, warum ich so lange bleibe. Ich habe keine Familie in der Türkei, die wartet, dass sie kommen darf. Im Zimmer neben mir wohnt seit einigen Monaten der Schneckenkönig. Manchmal bin ich bei ihm, oft ist er bei mir. Der Donau möchte ich nahe bleiben. Sie gibt mir die Sicherheit, dass es weitergeht. Als Kind ließ ich kein Schiff vorbeiziehen, ohne ihm zu winken. Natürlich haben die Passagiere vom Ausflugsdampfer als Antwort wild und übermütig gestikuliert und auch gerufen. Aber lieber waren mir die Matrosen auf den Lastkähnen mit den fremden Flaggen. Ihr stiller Gruß war nicht flüchtig. Sie hoben die Hand, und ich verstand ihre Sprache. Die Matrosen auf dem Schiff nahmen mich ernst, und ich wusste, dass ich jemand bin. Am Ufer der Donau, Auge in
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