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Hoellenpforte

Hoellenpforte

Titel: Hoellenpforte
Autoren: Anthony Horowitz
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ihn auch jetzt erkannt. Kurze dunkle Haare. Breite Schultern. Blasse Haut und tiefblaue Augen. Er war ungefähr in ihrem Alter, wenn auch etwas an ihm war, was ihn älter wirken ließ. Vielleicht war es seine Art zu gehen, dieses Zielstrebige. Er ging wie jemand, der eine Menge Probleme und Verantwortung hat.
    Was machte er hier? Wie war er überhaupt hereingekommen? Scarlett drehte sich zu einem Mädchen um, das in ihrer Nähe saß und dem Gekritzel auf seinem Block zufolge eine riesige Explosion malte.
    »Hast du ihn gesehen?«, fragte sie.
    »Wen?«
    »Den Jungen, der gerade vorbeigegangen ist.«
    Das andere Mädchen sah sich um. »Was für ein Junge?«
    Scarlett wandte sich wieder nach vorn. Der Junge war verschwunden. Einen Moment lang zweifelte sie an sich selbst. Hatte sie ihn sich nur eingebildet? Aber dann sah sie ihn wieder, ein Stück von ihr entfernt. Er stand vor einer Tür. Nach einem Augenblick des Zögerns drehte er den Türgriff und ging hindurch. Die Tür schloss sich hinter ihm.
    Scarlett folgte ihm. Sie tat es, ohne darüber nachzudenken. Sie legte einfach ihren Block hin, stand auf und ging ihm nach. Erst als sie schon vor der Tür stand, fragte sie sich, was sie hier eigentlich machte. Sie jagte jemandem hinterher, den sie nie getroffen hatte, der vielleicht nicht einmal existierte. Was, wenn sie ihm plötzlich gegenüberstand? Was sollte sie sagen? »Hi, ich bin Scarlett und habe von dir geträumt. Hast du Lust auf einen Big Mac?« Er würde sie für verrückt halten.
    Die Tür, durch die er gegangen war, befand sich in der Außenwand unter einem Buntglasfenster, das so düster und verdreckt war, dass man das Bild nicht mehr erkennen konnte. Scarlett vermutete, dass die Tür nach draußen führte, vielleicht auf den Friedhof, falls die Kirche einen hatte. Die Tür sah irgendwie merkwürdig aus. Sie war sehr klein, was überhaupt nicht zum Rest der Kirche passte. Ins Holz war ein Symbol eingeschnitzt, ein fünfzackiger Stern.
    Sie zögerte. Bei Klassenausflügen durften sie sich nicht von der Gruppe entfernen. Aber sie würde ja nicht weggehen. Wenn sie den Jungen auf der anderen Seite der Tür nicht sah, würde sie einfach wieder hineingehen. Statt einer Türklinke hatte die Tür einen eisernen Ring. Sie drehte ihn und ging hindurch.
    Zu ihrer Verblüffung landete sie nicht auf der Straße, sondern in einem breiten, hell erleuchteten Gang. Lodernde Fackeln steckten in eisernen Wandhaltern und die Flammen züngelten hoch zur Gewölbedecke. Der Gang war vollkommen schmucklos und wirkte alt und neu zugleich, denn der Putz bröckelte zwar ab, aber darunter kamen Ziegelsteine zum Vorschein. Es musste eine Art Kreuzgang sein, den die Priester benutzten, wenn sie ihre Ruhe haben wollten. Aber der Gang passte nicht zum Rest von St. Meredith. Er hatte nicht nur eine andere Farbe, auch Größe und Form passten nicht.
    Außerdem war es lausig kalt, viel kälter als vorher. Als Scarlett ausatmete, hatte sie eine Dampfwolke vor dem Gesicht. Es kam ihr vor, als stünde sie in einem Kühlschrank, dabei hatten sie doch gerade erst die erste Novemberwoche. Es fühlte sich an, als wäre tiefster Winter. Sie rieb sich in der beißenden Kälte die Arme.
    Ihr gegenüber saß ein Mann auf einem Stuhl, mit dem Gesicht zur Tür. Anfangs war er ihr nicht aufgefallen, weil er im Schatten saß. Mit der langen schmutzig braunen Kutte, die ihm bis auf die in Sandalen steckenden nackten Füße reichte, sah er aus wie ein Mönch. Er hatte die Kapuze über den Kopf gezogen und saß zusammengesunken da. Scarlett hatte bereits beschlossen, kehrtzumachen und zurückzugehen, doch bevor sie sich bewegen konnte, schaute er auf. Scarlett schnaufte entsetzt auf, als seine Kapuze zurückfiel.
    Er war einer der hässlichsten Männer, die sie jemals gesehen hatte. Er war vollkommen kahl und die Haut spannte sich über seinem Schädel, der weiß und tot aussah. Sein Kopf war irgendwie deformiert – er war zu schmal und eine Seite war eingedrückt wie ein Ei, auf das man mit dem Löffel geschlagen hat. Seine eingesunkenen Augen waren schwarz und er hatte grässliche Zähne, die sichtbar wurden, als er seine dünnen Lippen zu einem Lächeln verzerrte, sodass sie aussahen wie eine Messerwunde. Was hatte er hier gemacht? Wieso saß er hier? Sie sah nach links und rechts, aber es war sonst niemand da. Der Junge namens Matt – wenn er es überhaupt gewesen war – war verschwunden.
    Der Mann sagte etwas. Scarlett verstand kein einziges
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