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Höllenhund

Höllenhund

Titel: Höllenhund
Autoren: James Herbert
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meine Erinnerung noch nicht gleich dazu zwingen, mir alle ihre Geheimnisse zu verraten — es wäre ohnehin unmöglich gewesen. Ich würde ihr Zeit lassen, zulassen, dass die Fragmente ein Ganzes bildeten, würde den Bildern helfen, indem ich suchte, nach meiner Vergangenheit suchte.
    Aber zuerst musste ich entkommen.

5

    Ich erwachte aus meinem Schlummer vom Geräusch des Riegels, der aufgezogen wurde. Es war ein schwerer Schlaf gewesen; leer, traumlos. Vermutlich hatte mein erschöpftes Gehirn beschlossen, für die Nacht dichtzumachen, sich selbst die Chance zu geben, sich von den Erschütterungen zu erholen, die es erlitten hatte.
    Ich gähnte und streckte mich. Dann wurde ich wachsam. Dies würde meine Chance sein. Falls sie mich heute erledigen wollten, musste ich etwas unternehmen, solange sie noch nichts argwöhnten. Wenn sie kamen, um mich in die Todeszelle zu bringen, würde ihre eigene Empfindsamkeit in Bezug auf die bevorstehende Exekution sie vorsichtig machen. Für Menschen ist es leicht, ihre Gefühle an Tiere zu übermitteln, musst du wissen, denn ihre Aura strahlt Emotionen ebenso stark wie Radiowellen aus. Selbst Insekten können sie empfangen. Sogar Pflanzen. Das Tier entwickelt eine Sensibilität für die Impulse seines Henkers und reagiert auf verschiedene Art: Manche werden apathisch, ruhig, andere hingegen reizbar. Ein guter Veterinär oder Tierpfleger weiß das und bemüht sich, seine Gefühle zu tarnen, um das Opfer ruhig zu halten; aber gewöhnlich gelingt ihnen das nicht, und dann gibt es Ärger. Meine Hoffnung war, dass dies ein gesellschaftlicher Besuch war und nicht etwa dem gefährlichen Zweck diente.
    Ein junges Mädchen, vielleicht achtzehn oder neunzehn Jahre alt, in dem vertrauten weißen Mantel, den alle Tierpfleger trugen, sah herein. Sie hatte gerade noch Zeit, »hallo, Junge« zu sagen, ehe ich den Hauch von Traurigkeit von ihr auffing. Und dann war ich schon wie aus der Pistole geschossen davon. Sie versuchte nicht einmal, mich festzuhalten, als ich an ihr vorbeischoss; entweder war sie zu verblüfft oder insgeheim erfreut darüber, dass ich versuchte, meine Freiheit zu erlangen.
    Ich glitt aus, als ich dem gegenüberliegenden Pferch ausweichen wollte, und meine Zehennägel gruben sich in die harte Erde. Mein ganzer Körper war eine aufgewühlte Masse von Bewegung, als ich um den halbüberdachten Hof hetzte und einen Weg nach draußen suchte. Das Mädchen verfolgte mich, wenn auch nur halbherzig, als ich von einer Ecke zur nächsten rannte. Ich fand eine Tür in die Welt draußen, aber es gab keine Möglichkeit, durch sie zu gelangen. Ich war frustriert darüber, ein Hund zu sein; wäre ich ein Mensch gewesen, so hätte ich mit Leichtigkeit den Riegel öffnen und nach draußen gelangen können. (Natürlich wäre ich dann auch nicht in dieser Lage gewesen.)
    Ich drehte mich um und knurrte das Mädchen an, als es sich mir näherte und mir mit leisen, einschmeichelnden Worten zuredete. Mein Haar sträubte sich, und ich kauerte mich auf die Vorderbeine nieder, und meine Hinterbacken zitterten, sammelten Kräfte. Das Mädchen zögerte, und ihr plötzlicher Zweifel und ihre Furcht schlugen in Wellen auf mich ein.
    Wir sahen einander an; ich tat ihr leid und sie mir. Keiner von uns beiden wollte den anderen ängstigen.
    Eine Tür öffnete sich in dem Gebäude am anderen Ende des Hofes, und ein Mann erschien. Er blickte finster.
    »Was soll das Theater, Judith? Ich dachte, ich hätte dir gesagt, dass du den Hund aus Box neun bringen sollst.« Dann wechselte sein Ausdruck, wurde ärgerlich, als er mich am Boden kauern sah. Er trat halblaut fluchend vor. Ich sah meine Chance — er hatte die Tür hinter sich offengelassen.
    Ich fegte an dem Mädchen vorbei, und der Mann, der jetzt halb über den Hof gekommen war, spreizte Arme und Beine, als würde ich ihn anspringen. Ich duckte mich unter ihm durch, und er presste vergebens die Beine zusammen, heulte auf, als seine Knöchel aneinander prallten. Ich flog durch die offene Tür, fand mich in einem langen düsteren Korridor, den zu beiden Seiten Türen säumten. Am Ende war die Tür zur Straße, mächtig und beeindruckend. Schreie hinter mir ließen mich den Korridor entlanghetzen, verzweifelt auf der Suche nach einem Ausgang.
    Eine der Türen zu meiner Linken stand einen Spalt offen, und ich rannte ohne zu zögern hinein. Eine Frau, die gerade in einer Ecke kniete und dabei war, einen Wasserkessel aufzusetzen, starrte mich an, zu
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