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Hitzeflimmern

Hitzeflimmern

Titel: Hitzeflimmern
Autoren: Anthea Bischof
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war die einzige Realität, die er fassen konnte.
    „Sei doch nicht so“, sagte Christelle am anderen Ende.
    Sie hasste es, wenn seine Stimme so abgeklärt war. Sie hasste es, dass er immer Herr der Situation sein wollte, dass er sich nie aus der Ruhe bringen lassen wollte, dass er eine Fassade kühler Kontrolle war. Manchmal sagte sie Dinge, nur um zu sehen, ob irgendetwas seine Abgeklärtheit hätte ankratzen können.
    „Ich bin so“, sagte Karl und hätte sie sein Gesicht gesehen, so hätte sie gewusst, dass kein Rest der Gemütsruhe in ihm war. Dass nichts, aber auch gar nichts an Abgeklärtheit übrig war. Sie hätte gesehen, dass seine Gesichtszüge sich verzerrten im Schmerz einer unendlichen Enttäuschung. Sie hätte Karl gesehen.
    „Ich, hm. – Ich lass dich mal nachdenken“, sagte Christelle in die Pause hinein. „Tschüss dann.“
    Karl hörte das Freizeichen in seinem verschwitzten Ohr, während er immer noch in die flimmernden Brunnentropfen starrte und die Leere in ihm seinen Verstand zernagte und ihm den Magen umdrehte. Es war nichts mehr da von dem, was er geschätzt hatte. Es war nichts mehr da von dem, auf das er gebaut hatte. Es war nichts mehr da.
    Das Gefühl des Verlusts war so umfassend, so grauenvoll, dass er es nicht aushielt. Er wusste, was all das bedeutete, er wusste, dass er nun seine Kinder nur noch selten würde sehen können. Dass er sie würde bitter vermissen müssen, wenn er zu Bett ging, wissend, dass sie nicht zu irgendeiner unvorhergesehenen Stunde seinen Schlaf stören würden, indem sie an seinem Bett standen und irgendeine vollkommen unrealistische Geschichte von bösen Monstren erzählten. Er wusste, dass die ohnehin abgekühlte Beziehung zu seiner Frau, zu seiner Christelle, die er so erschreckend gut kannte, so oft sie sich stritten und so sehr sie sich entfernt hatten, er wusste mit aller Bitternis, dass er diese miese, ausweglose Beziehung vermissen würde, selbst den Streit und die Langeweile. Doch das Wissen war wie die Gischt auf einer Sturmwelle von Gefühlen, die auf ihn zurollte, ihn in sich auffressen würde, wenn er sich nicht zusammen riss. Er musste an etwas anderes denken. Er musste sich auf etwas konzentrieren, das nicht dieser vollkommene Verlust und der Schmerz war, die ihn mit der rasenden Gewalt einer Sturmflut niederzuwerfen drohten.
    Einen Augenblick verschwamm die Sicht vor seinen Augen. Er starrte auf den Park und die flimmernde Luft auf dem Stein und hörte auf das Rauschen der Luft. Endlich strich er sich mit der Hand den kalten Schweiss von der Stirn und rief seinen Freund daheim an.
    Roland war Anwalt in Cham und hatte nach der Lage der Dinge ein so gesegnetes Auskommen, dass ihn nichts aus den heimischen Gefilden locken würde. Er war einfach immer daheim, wohin auch immer es Karl verschlug. Als Karl die Nummer aus seinen Kontakten auswählte und auf das vertraute Klingeln wartete, war er sich zum ersten Mal bewusst, wie sehr er sich immer auf den Freund verlassen hatte.
    „Karl? Wie geht‘s?“ hörte er die joviale Stimme am anderen Ende. Roland war immer sehr gewinnend gewesen und trat mit Vorliebe als weltgewandter Lebemann auf.
    „Hallo Roland“, erwiderte er monoton. „Christelle hat mir grade gesagt, dass wir uns trennen sollten.“
    Einige Sekunden war es still.
    „Bist du in Ordnung?“ fragte Roland dann. Seine Stimme klang nicht mehr fröhlich, sondern besorgt.
    „Hm, kannst du dir denken. Ich bin an einer Messe und bekomme einfach so das Telefon“, erklärte er dem Freund. „Sie ist gerade bei ihren Eltern mit den Kindern.“
    „Es tut mir leid. Jetzt wäre der Moment, dass wir zusammen einen heben, was?“ erwiderte Roland.
    Das war Karl zu viel. Die Flutwelle erhob sich wieder vor ihm und er räusperte sich markant.
    „Ist schon gut, ich komme zu recht. Hat genug Ablenkung hier, glaub‘s mir“, sagte er abwehrend.
    „Sicher?“ fragte Roland zweifelnd.
    „Sicher schon, ich wollte nur mit jemandem reden. Hm. Danke. Dass du zugehört hast, meine ich.“
    „Gern geschehen. Wenn etwas nicht in Ordnung ist, rufst du mich an, gell?“ fragte Roland.
    „Klar, danke“, erwiderte Karl. „Schönen Tag noch.“
    „Alles Gute“, sagte Roland, dann war Stille.
    Karl dachte an Christelle und Wut stieg in ihm auf. Er war so wütend, er hätte laut brüllen mögen. Er ballte die leere Faust und alle Muskeln spannten sich in seinem Körper. Was war es für eine Frechheit, ihn so vor vollendete Tatsachen zu stellen. Nach
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