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Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Titel: Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
Autoren: Regine Kölpin
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Gesicht gezogen, damit das Kind sie später nicht erkannte und damit sie nicht erkannt wurde. Schon bald hatte Adele den Knaben ganz der Marketenderin überlassen und sich nur noch selten in der Hütte blicken lassen. Zu groß war die Furcht gewesen, der Knabe würde sie eines Tages doch als seine Mutter erkennen, wenn sie die Fesseln löste und er ihr zufällig begegnete. Anneke hatte sich all die Jahre für ein paar Schap um den Jungen bemüht, soweit es ihre Zeit zuließ. Doch es hatte nicht gereicht: Ein Kind brauchte mehr als gelegtliche Besuche und etwas zu essen. Die einfachsten Regeln des menschlichen Miteinanders – etwa Gefühle und das Miteinander-Reden – hatte er nie gelernt.
    Adele hatte sich oft gefragt, warum sie ihn damals nicht einfach laufen gelassen hatte, er wäre auf ewig im Moor verschollen. Später, als er alt genug war, hatte sie ihn seinem Schicksal überlassen. Doch der Junge besaß einen dermaßen feinen Instinkt, dass er wider Erwarten überlebte. Manchmal dachte Adele, Anneke habe ihn doch zwischendurch rausgelassen und ihn seine Welt erkunden lassen, denn er bewegte sich mit der Geschmeidigkeit eines Wildtieres durch sein neues Leben. Auch wusste er, wie man Tiere erlegte und Feuer machte. Sie musste es ihm gezeigt haben.
    Adele hatte gewollt, dass der Junge starb, doch er tat ihr den Gefallen nicht. Bis heute. Nun war der Tag da, wo sie ihn für immer loswerden konnte, wo er endgültig aus ihrem armseligen Leben verschwinden würde, denn schon bald stünden die Wachen aus Emden in der Herrlichkeit und würden ihn zur Hinrichtung mitnehmen, ihm den Prozess als Mörder machen. Es war so weit, sie würde ihn auf ewig loswerden. Warum aber zögerte sie nun? Warum machte ihr sein bevorstehender Tod solche Angst? Ihr Herz raste, Schweiß perlte aus allen Poren, ihre Hände waren eiskalt und zitterten. Sie plagte eine Furcht, die sie noch nie in ihrem Leben empfunden hatte. Sie war verantwortlich für das Kind, sie hatte es sich machen lassen, und sie hatte es auf die Welt gebracht. Wie hatte sie je geglaubt, seinen Tod billigend in Kauf nehmen zu können?
    Das Grollen des Gewitters war schon bedrohlich nähergekommen, als Adele auf den Burghof trat. Die Wachen beachteten sie gar nicht. Adele Stausand war kein Weib, dem man Beachtung schenkte, sie war eine von ihnen, unscheinbar und gehorsam. Doch noch nie hatte sie sich so ausgeschlossen gefühlt wie in diesem Augenblick. Nicht einmal, als Cornelius von Ascheburg sie mit seinen eiskalten blauen Augen angesehen hatte. »Sieh zu, was du mit dem Kind machst. Die Münsteraner Zeit ist Vergangenheit. Ich brauche hier ein anderes Weib.« Sie war eben eine von vielen gewesen. Eine von denen, die er geehelicht hatte, weil Jan van Leyden es so wollte. Lediglich die Hofstelle hatte Cornelius für sie nach dem Tod ihres Gatten erkämpft, ein magerer Ausgleich für das, was sie ihrem Kind antun musste, um abgesichert und keine ledige Frau mit Kind zu sein.
    Ob von Ascheburg sich je gedacht hatte, der Schatten könne sein Sohn sein, wusste Adele nicht. Selbst als sie ihm das Messer in den Bauch gerammt und ihm bei lebendigem Leib sein Innerstes nach außen gekehrt hatte, war sein Blick verständnislos gewesen. Cornelius von Ascheburg und auch Hinrich Krechting waren keine Männer, die jemals zugeben würden, dass sie einen Fehler gemacht hatten. Dafür mussten sie zahlen, genau wie Tyde, die es gewagt hatte, ein Kind von dem Mann zu bekommen, der sie in ihrer Not alleingelassen hatte. Sie hatte kein Recht dazu. Nachdem das erste Weib von Cornelius in Münster verreckt war, hatte er nicht sie, Adele, in sein Leben gelassen, sondern später Tyde geheiratet und dort seinen Samen in werdendes Leben umgesetzt. Adele dagegen musste sich mit einem Mann zufrieden geben, dem körperliche Freuden fremd waren. Und der auch schon bald dahingeschieden war. Ihr hatte das Leben übel mitgespielt, es gab nichts mehr, was sie verlieren konnte. Auch die Hebamme hatte es nicht vermocht, ihr den nötigen Halt zu geben. Der Hass war weitergewachsen wie eine böse Geschwulst, die sich von innen her durch die Haut fraß. Als Tyde schwanger vor ihr gestanden hatte, war Adele klar geworden, dass sie durch nichts mehr aufgehalten werden konnte, bis alle Schuld der Täufer gesühnt war. Bis all die, die die Frauen in Münster für ihre Zwecke missbraucht hatten, getötet waren. Bis alle, die Cornelius nahestanden, weg waren. Sie hatte Tyde von der Burg locken müssen und eine
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