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Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Titel: Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
Autoren: Regine Kölpin
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bluten lassen. Zusammen mit vielen anderen tausend Glaubensbrüdern. Die Rechnung wurde nun beglichen, wie alle Rechnungen irgendwann im Leben beglichen wurden. Man konnte nicht fortlaufen, und man durfte es wohl auch nicht. Er sah Rothmann, der ihm über das Schwarze Brack hinweg zuwinkte. Er war deshalb nicht gekommen, weil er wusste, dass Krechting an der Reihe war zu zahlen. Er wollte sich nicht mit ihm töten lassen. Krechting hatte seinen Beistand nicht verdient.
    Er hätte Cornelius nicht schützen dürfen, hätte seinem Treiben Einhalt gebieten müssen, dann wäre er noch am Leben und dieser irre Junge nicht Ursache all des Unglückes, das nun über die Herrlichkeit hereingebrochen war. Wäre Rothmann von Beginn an vor Ort gewesen, hätte er ihn unterstützen können. Aber Rothmann war fortgeblieben, wollte dieses ostfriesische Neue Jerusalem nicht. Ihm waren längst andere Dinge, andere Menschen wichtiger geworden als der schwache Hinrich, der sich in dieser Ödnis versteckt hatte.
    Cornelius war der Beginn einer langen Reihe von Toten, die unweigerlich folgen würden, denn sie hatten eine Schlange mit ins Nest geholt, die aus der Winterstarre erwacht war und nun züngelnd aus dem ewigen Moor emporschoss und ihren Vernichtungsfeldzug angetreten hatte. Wer konnte sagen, wen sie verschonen würde, wer sicher war vor ihrem Gift?
    Krechting versuchte die Augen aufzureißen, doch es gelang ihm nicht. Er wollte die wahre Welt sehen, wollte das Stück Hoffnung gewinnen, er könne so dem Tod ein letztes Mal von der Schippe springen. Aber die Bilder waren stärker und drängten ihn zurück in eine vergangene Welt, die ihn nun das Leben kostete.
    Je länger er sich in diesem Dämmerzustand befand, desto sicherer war er, dass er den Mörder von Ascheburgs kannte und auch die Person, die ihn ins Jenseits befördern wollte. Er hätte sie früher erkannt, wenn er die Gedanken zugelassen hätte, wenn er es gewagt hätte, auch nur einen leisen Zweifel an seinem Tun zuzulassen. Das war ihm aber nie gelungen, er war stets davon überzeugt gewesen, das einzig Richtige zu machen. Und das musste er auch allen anderen beweisen. Nie hätte er einen Fehler, einen Irrtum oder gar Schwäche zugegeben. Ein Hinrich Krechting war stark. Und wenn es ihn Leib und Leben kostete. Mit dieser Erkenntnis übermannte ihn erneut der Schlaf, und ein selbstgefälliges Lächeln entspannte seine zuvor zusammengepressten Lippen.
    Am Himmel braute sich ein schweres Frühsommergewitter zusammen. Adele hörte das Grummeln schon eine geraume Weile. Die schwarze Front rückte langsam, aber unaufhaltbar näher. Dennoch hatte sie keine Wahl und musste sich zur Burg aufmachen. Sie konnte nicht länger schweigen, die zehn langen Jahre waren schlimm genug gewesen, hatten sie Nacht für Nacht um den Schlaf gebracht und von innen her verhärtet. Vor allem dem Jungen gegenüber, dem sie noch nicht einmal einen Namen gegeben hatte. Als er auf die Welt gekommen war, hatte sie ihn Wechselbalg geschimpft. Außer in den kurzen Augenblicken, in denen sie ihm Nahrung gegeben hatte, war es ihr gelungen, ihn aus ihrem Denken und Leben zu verbannen. Es war oft schwer gewesen, sich mehrmals am Tag ins Moor zu schleichen, doch ihrem Mann war es wegen der vielen Arbeit nie aufgefallen. Da er selbst nicht in der Lage war, bei ihr zu liegen und auch alle Wundermittel der damaligen Marketenderin keine Wirkung erzielt hatten, begehrte er sie nicht und versuchte gar nicht erst, ihr Nachthemd zu lupfen. So waren ihm der Anblick der milchgeschwollenen Brüste und auch der Wochenfluss entgangen.
    Noch während Adele zur Burg lief, überlegte sie, was sie für den Jungen, der aus ihr herausgeglitten war, eigentlich empfunden hatte. Sie schüttelte den Kopf, hielt ihre Hand vor den Bauch und strich mit leichten Bewegungen darüber. Nicht der erste Tritt des Kindes hatte Muttergefühle in ihr ausgelöst, nicht der erste Schrei. Und die vollen Windeln schon gar nicht, das Stillen war ihr eher eine Last gewesen. Trotzdem hatte sie nie anders gekonnt, als das Kind immer wieder kurz zu berühren und es in der Armbeuge zu wiegen. Sogar ein leises, einsames Summen war ihr englitten.
    Die damals junge Anneke war oft ins Moor zur Hütte geschlichen und hatte mit dem Kind gespielt. Doch als er zu laufen begann, hatte Adele es ihr verboten und den Knaben mit einer Fessel am Fuß in der Hütte festgebunden. Anneke aber hatte sich nicht an ihre Anweisung gehalten. Sie hatte sich ein Tuch vors
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