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Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Titel: Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
Autoren: Regine Kölpin
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Mittagssonne. Es dauerte erneut, bis er weitersprach. »Hat sie.« Die Sonne schien ihm in die Augen. Er kniff sie zu. »Ich bin lange genug geblendet durchs Leben gelaufen, werde das jetzt nicht mehr zulassen. Adele hat ein Kind, und ich bin mir sicher, dass ich weiß, wer es ist.«
    Jan zuckte zurück. Ihm schwante Böses, doch er wollte es von Garbrand selbst hören. »Woher weißt du das? Und was glaubst du, wer das Kind ist?«
    Garbrand erzählte weiter. »Sie redet im Schlaf, sagte ich doch schon. Ich war zwar sehr betrunken, aber du weißt auch, dass ich eine Menge vertrage. Sie hat geweint und geschrien, er solle wiederkommen und ihr verzeihen.«
    Jan drehte sich um, schnappte Garbrand und zerrte ihn zurück in die Küche. Adele war fort, vermutlich hatte sie doch nicht so fest geschlafen. Weit konnte sie jedoch nicht sein, denn vor der Tür zum Garten hatten ja sie gestanden.
    »Adele?«, rief er. »Ich suche sie«, erklärte er seinem Freund, der ermattet auf der Küchenbank zusammensank.
    Jan tappte den kleinen Flur entlang, bis er vor ihrer Kammer stand. Die Tür war nur angelehnt, und aus dem Raum drang ein haltloses Schluchzen. Jan überlegte nicht lange, betrat die Kammer und stellte sich neben das Bett, auf das sich Adele Stausand geworfen hatte.
    »Ihr habt ein Kind?«, fragte Jan behutsam.
    Er nahm ein verhaltenes Nicken wahr.
    Noch bevor er jedoch weiterfragen konnte, wurde die Tür aufgerissen, und die Marketenderin stand im Rahmen.
    »Sie haben dein Kind, Adele! Ich weiß, dass er dein Sohn ist, und wenn du jetzt nicht endlich dein Schweigen brichst, wird er nach Emden geschafft und dort aufgeknüpft. Zusammen mit deiner Freundin, der Hebamme!«
    »Der Junge ist Euer Sohn?« Jan hatte sich genau das gedacht.
    »Ich war bei der Geburt vor zehn Jahren dabei. Als junge Frau, eigentlich war ich noch ein Kind«, erklärte Anneke.
    Jan stieß Adele an. »Wie konntet Ihr ihn so leben lassen? Was ist geschehen, dass er zu dem wurde, was er ist?«
    Adele richtete sich auf, sie wirkte verstört. »Konnte ihn nicht behalten.«
    Jan verstand nicht. »Er ist ein Kind, wie lange schlägt er sich schon so allein durch?«
    »Lange«, sagte Adele. »Es ist ein Wunder, dass er noch lebt.«
    Jan konnte es noch immer nicht fassen. Wie konnte man sein eigenes Kind so einfach seinem Schicksal überlassen? Was passte da nicht? »Warum?«, hakte er erneut nach, doch er erhielt keine Antwort mehr. Adele hatte sich ganz in sich zurückgezogen.
    Dafür redete Anneke. »Sie war schwanger, als sie aus Münster kam, und Stausand wollte sie heiraten. Er wollte das Kind aber nicht, und so haben wir es in einer Hütte im Moor geholt. Dort ist es geblieben. Alle dachten, es sei tot geboren. Adele ist dann immer wieder hin, hat es genährt und gereinigt.«
    »Ihr habt als junges Mädchen den Jungen von Adele entbunden und die ganze Zeit geschwiegen? Nie erzählt, dass er am Leben ist und zu Adele gehört?«
    »Die alte Hebamme hätte mir die Zunge herausgeschnitten, wenn ich meinen Mund aufgemacht hätte. Und so haben wir uns alle an dem Knaben versündigt. Aber es war Adeles einzige Möglichkeit, als Weib etwas zu gelten. Sie war jetzt die Frau des zweiten Lokators und hatte eine kleine Hofstelle. Selbst nach seinem Tod durfte sie dort wohnen bleiben.«
    »Und dafür opfert man sein Fleisch und Blut?«
    »Keiner hätte geglaubt, dass es überlebt, aber keiner wollte es beschleunigen.« Anneke ließ sich auf einen der umstehenden dreibeinigen Hocker sinken. »Wir sind gläubig.«
    Nach diesem Satz wusste Jan nur eines: Er hätte nicht herkommen sollen.
    Krechting nahm die Welt nur schemenhaft wahr. Er hatte die Hebamme gesehen und ein Gesicht, das er nicht zuordnen konnte. Es war ihm schon einmal untergekommen, doch er wusste nicht wo. War es Rothmann? Rothmann, der doch kommen wollte, Rothmann, der Retter. Warum war er nicht da? Warum?
    Krechting kamen Bilder hoch. Bilder, rubinrote Bilder, die er lieber nicht sehen wollte. Sie waren schlimmer als die seiner nächtlichen Träume. Bunter, schriller und lauter. Es war das Elend, das ihn einholte. Es gab nichts mehr, wofür es sich noch zu leben lohnte. Weder Frau noch Kinder hielten ihn mehr am irdischen Leben, er hatte alles falsch gemacht und musste jetzt zahlen. Sein Leben gegen das von vielen anderen. Sein Leben, das ihm in Münster wichtiger gewesen war als das der Brüder und Schwestern. Er hatte sich aus dem Staub gemacht, seinen Bruder, Knipperdolling und Jan van Leyden
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