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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
Autoren: Tobias O. Meißner
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der Meinung, sich seinen Spielpunkt ehrlich verdient zu haben.
    Ein Stück weit mitgetragen von der heiter beschwingten Menge, wies er grob die unverfängliche Uhrzeitfrage eines dunkeläugigen Tim-Fischer-Verschnitts zurück und trottete allein Richtung Untergrundbahn, trottete durch den Glam Slum der nordschöneberger Lebensart und wurde mit jedem Schritt missmutiger und wütender.
    Was sollte dieser ganze Scheißabend? Warum war Widder nicht aufgekreuzt? Warum hatte er sich in dieses lächerliche Bohèmien-Jackett gezwängt (das er jetzt nur deshalb nicht einfach über eine Hecke schmiss, weil es ein Geschenk seines Mäzens Feininger war)? Und warum zum Jakob waren Transvestiten nur immer so einfallslos und bieder, so auf Konformität bedacht, so schleimig und beifallheischend? Warum imitierten sie nicht mal seine Louise oder Clara Bow oder Pola Negri oder Ella Raines oder andere wirklich coole und interessante Frauen? Nein, sie scharwenzelten immer nur als Marlene herum oder als Marilyn oder Madonna und gaben dem ganzen eigentlich vielschichtigen Frau-Sein damit einen schalen und oberflächlichen Namen. Die traurige Zurschaustellung der Phantasielosigkeit von Imponiergehabe-Möchtegerns. Ein Dressurzirkus aufgedonnerter Abnormitäten im Dienste des bourgeoisen Amüsements. Zum Kotzen.
    Zufälligerweise (oder auch nicht) kam es gerade in dem Moment, als Hiobs Groll und Frustration den Zenit ihres makellosen Steigfluges erreicht hatten, zu einer unterdimensionalen Vibration. Eine Art Ruck lief durch das zweiflügelige Weltgebäude, klein genug, um die anderen Passanten der Nacht, die Hiob auf den Gehsteigen schlendernd Gesellschaft leisteten, völlig unbehelligt zu lassen, ausreichend aber, um einem einen halben Globus entfernt dösenden namenlosen Schamanen vom Stamm der Sacree für immer jeglichen Tastsinn zu rauben und Hiob selbst straucheln zu lassen, und zwar so weit, dass seine rechte Hand sozusagen über den Bürgersteig hinausglitt und erst auf dem feuchtkalten Grund des Straßenbelags wieder Halt fand. Hiob schüttelte den Kopf, als hätte man ihm einen Handkantenschlag in den Nacken versetzt, und rappelte sich ächzend wieder auf. Niemand sonst hatte etwas bemerkt, hatte seine Laufrichtung geändert oder auch nur zu dem wohl betrunkenen Hiob herübergeblickt.
    Der jedoch wusste, dass er seinen Sinnen trauen konnte. Etwas hatte gerade begonnen, diskret, aber unmissverständlich.
    (In Buckow biss etwas die Hand, die fütterte, und zwar so fest, dass Fingerglieder rissen. In Tegel sprang spuckend der große zottige Schatten auf sein Frauchen und machte ihr ein unangenehmes Kind. Durch die Zwinger des Tierheims Lankwitz rollten Wogen des lärmendsten Irrwitzes. Ein schwarzer Pudel presste sich in rohen Klumpen durch die rautenförmigen Maschen. Ein Tierpfleger setzte sich lächelnd eine Einschläferspritze in die Zunge und drückte ab. Durch den fast völlig lichtlosen Humboldthain hetzte geifernd eine größer werdende Meute.)
    Hochschauend zum wie ausgelaufen platten und eingedellten Mond spürte Hiob ein lykanthrophisches Jucken ringsum in Gürtelhöhe, aber es war nicht das, nicht er selbst.
    Von irgendwo weit die Straße runter, dort, wo die Laternen von links und rechts schon eins wurden, erklang das schrille Heulen eines mondsüchtigen Köters, das langsam tiefer und kehliger wurde, als würde es akustisch verlangsamt oder sonst wie manipuliert.
    Berlin war für jemanden, den Hunde hassten, ohnehin schon immer ein heißes Pflaster gewesen. Im Allgemeinen besaßen die vierbeinigen Kunstscheißer nicht die Zielgerichtetheit und die intelligente Ausdauer, um wirklich massiert und wirkungsvoll gegen Hiob vorzugehen. Aber jetzt beeilte er sich doch mehr, als es sein Selbstbewusstsein eigentlich zulassen wollte, die U-Bahn-Station zu erreichen, und als sich zu dem einen mittlerweile tief und großtönend röhrenden Geheul noch drei oder vier weitere gesellten, war er heilfroh, die Abwärtstreppe erreicht zu haben und gleich darauf mit einem kurzen Sprint den schon abfahrbereiten gelben Zug zu erwischen.
    Die sogenannte Untergrundbahn fuhr auf oberirdischen Gusseisenbrücken Schlangenlinien durch Dogshit City.
    Hinunterblickend auf die kühle Stadt mit ihren vielfarbigen Laternen, den leuchtenden Kreuzworträtselmustern der Hochhausfassaden, den sanft regenbesprühten Asphaltnarben und dem schimmernd unbewegten Wasser eines brackigen Kanals vermeinte Hiob das Hecheln und Grollen der fellbewehrten Meuten
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