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Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer

Titel: Hiobs Spiel 2 - Traumtänzer
Autoren: Tobias O. Meißner
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und stirbt nicht!«, jubelte Janko anerkennend. »Hat die Kraft von zehn, der alte Kläffer. Und wird immer noch stärker!«
    »Jaaaaahhaaaaahh!«, machte Arvec und wirbelte den hilflosen Joran herum in einem ungleichgewichtigen Pas-de-deux. Joran rutschte aus und schlitterte auf allen vieren neben die Feuerstelle. »Und das Beste dran«, schrie Arvec heiser, »das Beste dran ist, wenn ich das Vieh jetzt aus dem Käfig lasse!« Mit zwei Schritten stand er mitten in den Flammen, und während der untere Saum seines Mantels Feuer fing, hieb er mit dem Kolben von Zivos Gewehr ein paar Zapfen aus ihren Verankerungen und schoss mit zwei Kugeln eine Stacheldrahtumwicklung mürbe. Der brennende Hund, riesig und rasend, barst sofort aus dem Käfig, war blind über und in Joran und weiter am nächsten, bevor Zivorad und Janko auch nur – viel zu spät – die Arme vor die Gesichter reißen konnten.
    Arvec brannte bis hoch zu den erhobenen Armen und lachte mit diesem tiefen Grollen, das nicht aus der Kehle, sondern aus der Tiefe der Eingeweide zu kommen schien.
    Die Nacht begann mit einem Vorspiel.
    Hiob war gerade mit dem ihm eigenen Missmut in einem selbst zusammengestellten Workout begriffen (Widder hatte ihm neulich mal ganz beiläufig gesagt, dass sie es eigentlich nicht so sexy fand, wenn sie während gemeinsamer körperlicher Betätigungen seine Rippen zählen konnte), als er an seiner Wohnungstür ein Rascheln und Kratzen hörte.
    Ohnehin schlapp schon vom zweiten Dutzend hochgestellter Liegestütze, rollte Hiob über den billigen Teppichboden ab und wetzte zur Tür, aber außer einem quadratischen weißen Umschlag in Notizblockgröße war da nichts mehr. Der Umschlag roch an den Klebenähten ein wenig nach Essig, das war typisches Wiedenfließaroma. Wahrscheinlich hatte ihn irgendein haariger kleiner Homunculus geliefert, der jetzt irgendwo im Treppenschatten kauerte und hinter vorgehaltener Hand über den Klingelstreich kicherte.
    Hiob schloss die Tür wieder, fetzte den Umschlag auf, entnahm das Kärtchen, las » Genieße diese Nacht / A.«, hob die runtergefallene Eintrittskarte für eine erstklassige Travestieshow auf, schüttelte den Kopf, verglich stirnrunzelnd seinen X-Men-Wecker mit der auf der Karte angegebenen Anfangszeit, ging ins winzige Badezimmer, wusch sich, holte sich das zerknitterte schwarze Second-Hand-Jackett aus dem Schrank, welches er bei feierlicheren Anlässen immer zu tragen pflegte, zog es an, gefiel sich im Spiegel und machte sich auf den Weg zum Veranstaltungsort, mustergültig den Tatbestand der Beförderungserschleichung erfüllend.
    Er hasste Travestieshows.
    Hiob war aufgeschlossen – oder am menschlichen Elend desinteressiert – genug, um nichts gegen Homosexuelle zu haben, aber warum Männer sich wie Frauen anzogen und mit scheußlichen Stimmen glücklicherweise früh verstorbene Showdiven imitierten, und warum irgendjemand auf diesem Planeten auch noch dafür bezahlte, dabei zuschauen zu dürfen, war ihm schon immer schleierhaft gewesen. Zu allem Überfluss tauchte auch noch Widder nicht auf, sodass es wohl geplant war, dass er alleine hineingehen musste. Innerlich auf das Prognosticon der ganzkörperbehaarten Wer-Marianne-Rosenberg vorbereitet, durchsaß er anderthalb Stunden lang an einem schummrig beleuchteten Tisch – und von den aufmunternden Blicken langwimpriger Galane befummelt – eine zotige Hölle aus ausladenden Kleidern, schwingenden Hüften, eindimensionalen Witzen, fluffigen Tü-Tüs, peinlichen Anzüglichkeiten, marodem Pianogeklimper und einem knarrenden Chansongesang, der so niederschmetternd war, dass er sich einmal sogar beide Handflächen auf die Ohren presste und das Gesicht verzerrte, als würde er in einer Zentrifuge sitzen.
    Die Leute ringsumher – das Haus war ausverkauft – amüsierten sich königlich. Es waren fast nur Heteros, Pärchen zumeist, bei denen die Weibchen mit vornehmer Anerzogenheit lachten, ohne die gelben Zähne dabei zu entblößen, während die Männchen in ihren Rollkragenpullovern sich die glänzende Stirn mit violetten Servietten abtupften. Champagner prickelte in den Gläsern, Federboas wischten durch Hiobs Gesicht, mit Rinderhormonen aufgepumpte Busen glänzten hochgezurrt im Halblicht, Lippengloss schimmerte feucht über ausgeprägten Adamsäpfeln, das unvermeidliche I am what I am mündete in einen tosend trommelnden Applaus.
    Als es vorbei war und Hiob an die erfrischend herbstlich durchnieselte Abendluft zurückwankte, war er
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