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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder
Autoren: Rebecca Gablé
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vorbereitete Fackel am ewigen Licht. »Ich hoffe, das ist nicht verboten, Gott, aber wir führen nichts Unrechtes im Schilde.«
    Das Licht wies seinen Freunden den Weg, und langsam kamen sie näher. Als sie aufgeschlossen hatten, umrundeten sie zusammen den Altar, und der Fackelschein fiel auf einen länglichen Quader, der zwischen Altarraum und Chorgestühl auf einem steinernen Podest stand und von einem feinen Tuch bedeckt war: Es war ein vortrefflich gearbeiteter Bilderteppich, der das Martyrium des heiligen Edmund zeigte.
    Alan wies mit der freien Hand darauf. »Meine Großmutter hat ihn gestickt. Kaum war er fertig, ist sie gestorben.«
    »Oh, jetzt reicht’s aber, Alan«, grollte Wulfric. »Mir ist so schon grauslig genug.«
    Oswald rückte unauffällig ein wenig näher an Alan heran, zeigte aber gleichzeitig auf den an den Baum gefesselten Märtyrer und sagte: »Genau, wie er’s uns immer erzählt hat.« Die Übereinstimmung von Bild und Geschichte schien ihn auf eigentümliche Weise zu beruhigen.
    »Du hast recht«, befand Simon und wechselte einen Blick mit Alan. »Wollen wir das wirklich tun?«
    »Wir sind den ganzen weiten Weg hergekommen. Also werden wir jetzt nicht kneifen. Hier, Oswald, halt die Fackel.«
    Behutsam hoben Alan und Simon den kostbaren Teppich an den Ecken hoch, staunten darüber, wie schwer er sich anfühlte, falteten ihn sorgsam zusammen und legten ihn beiseite. Was sie enthüllt hatten, war ein steinerner Sarg, der keine Inschrift trug und bis auf ein eingemeißeltes Zahnmuster am Deckelrand schmucklos war. Genau wie der Abt ihm erzählt hatte, saß der Deckel nicht ganz passgenau und schien ein wenig verrutscht zu sein.
    Während Oswald ihnen leuchtete, verständigten Simon, Alan und die Zwillinge sich mit einem Blick. Letztere legten die Hände ans Fußende des Deckels, die anderen beiden ans Kopfende, und unter einigem Ächzen drehten sie den schweren Sargdeckel, bis er quer zum eigentlichen Sarg lag und sie hineinspähen konnten.
    Alle brauchten sie einen Moment, bis sie den Mut dazu fanden. Dann nahm Alan Oswald die Fackel wieder aus der Hand und streckte sie über dem Sarg aus. Was sie beleuchtete, war ein sauberes, gelbliches Skelett in einem verfallenen Gewand, das möglicherweise einmal eine Kutte gewesen war. Ein paar wirre, brüchige Haare umgaben den Totenschädel, aber man konnte unmöglich sagen, welche Farbe sie einmal gehabt haben mochten.
    Oswald zog erschrocken die Luft ein, fuhr zurück und bekreuzigte sich, aber dann beugte er sich wieder über die Gebeine des Heiligen, unfreiwillig, so schien es, als sei er magisch angezogen. »Wird er sich plötzlich aufsetzen und einen von uns packen?«, flüsterte er.
    »Nein«, versicherte Alan. »Er schläft tief und fest, und zwar seit fast dreihundert Jahren.« Es klang ernüchtert.
    Er konnte beim besten Willen nicht sagen, was er hier zu finden gehofft oder erwartet hatte. Aber irgendwie hatte er geglaubt, heilige Gebeine müssten anders aussehen als die gewöhnlicher Sterblicher. Nicht so jämmerlich vergänglich.
    »Tja«, machte Wulfric, atmete tief durch und trat einen Schritt zurück, wie üblich in perfekter Harmonie mit der Bewegung seines Bruders. »Nun haben wir ihn gesehen und nichts gefunden, was uns klüger macht.«
    »Ich schätze, töricht wie wir waren, haben wir nichts anderes verdient«, stimmte Simon zu.
    Alan hörte, dass es ihnen genauso erging wie ihm selbst: Sie waren enttäuscht, ohne zu wissen, worüber genau. »Kommt. Lassen wir den armen Edmund in Frieden ruhen.«
    Er legte die Hände wieder an den Deckel, als Oswald mit dem Finger auf die Mitte des Skeletts zeigte. »Da, sieh mal, Losian.«
    Alan trat wieder zu ihm, und auf der anderen Seite beugten sich Simon und die Zwillinge über den Sarg.
    »Er trägt ein altes Jagdmesser am Gürtel«, erkannte Simon verblüfft. »Oder was vom Gürtel übrig ist. Seltsame Beigabe für einen Heiligen, oder? Und außerdem … Alan? Was hast du?«
    Alan war plötzlich zurückgewichen. »Seht es euch noch mal genau an«, riet er. Mit einem Mal schlug ihm das Herz bis in die Kehle, und seine Hände waren klamm.
    Er leuchtete ihnen wieder, und Simon und die Zwillinge beugten sich noch ein bisschen weiter vor, bis auch sie die Waffe erkannten und erschrocken die Luft einzogen.
    »Das ist deins«, sagte Oswald schließlich. »Dein Messer von der Insel, Losian.«
    Alan nickte. »Aber wie kommt es hierher?«
    Oswald war als Einziger völlig gelassen. »Er hat’s aus
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