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Hinter der Tür

Hinter der Tür

Titel: Hinter der Tür
Autoren: Henry Slesar
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Vanner. »Oder?«
    Er griff in die Tasche und zog den kleinen weißen Umschlag heraus. Es waren noch zehn Kapseln übrig. Er schüttelte sie vorsichtig auf ihren Nachttisch. Zwei rollten gegen das Podest der Porzellanballerina. Er zerknüllte den Umschlag und ließ ihn in den Papierkorb fallen.
    »Diese Pillen sind nicht wie die anderen Mittel, die ich Ihnen gegeben habe. Sie helfen Ihnen schlafen, Gail. Eine genügt für eine Nacht. Zwei wirken länger. Vier oder fünf oder sechs … Naja.« Er blickte in ihre Augen und sah, wie ihr langsam die Wahrheit dämmerte. Als er wußte, daß sie ihn verstanden hatte, machte er kehrt und verließ das Zimmer.
    Als er die Treppe hinabging, dachte er an Shanks. Der Leichenbestatter, den Gails Geschrei erschreckt hatte, war in solcher Hast die Stufen hinabgeeilt, daß er auf halbem Wege gestolpert und in einem unmöglichen Durcheinander aus Armen und Beinen im Flur gelandet war. Wimmernd wie ein verwundetes Tier war er dann durch die Vordertür gehumpelt; Vanner hoffte, daß ihn kein später Passant beim Verlassen des Gunnerson- Hauses beobachtet hatte. Aber Vanner war selbst erst halb die Treppe hinab, als ihn Gails Stimme aufhielt.
    »Joel! Bitte! Bitte, Joel!«
    Er machte kehrt und sah sie oben an der Treppe stehen, ihr Nachthemd war verrutscht und zerknittert, das Haar verwuschelt, das Gesicht tränenüberströmt und schmutzig wie das eines Kindes. Einen kurzen Augenblick glaubte er die sechsjährige Gail vor sich stehen zu sehen, die ihn entsetzt anstarrte.
    »Joel, ich kann es nicht tun, ich bringe es nicht fertig. Es muß eine andere Losung geben!«
    »Ich muß gehen«, sagte Vanner, und seine Stimme war hart vor Mißbilligung. »Wir treffen morgen die nötigen Arrangements. Ich muß mit der Fiduciary Bank über die Einweisungsformalitäten sprechen. Ich weiß nicht genau, wann ich komme.«
    »Sie dürfen das nicht tun!«
    »Ich habe leider keine andere Wahl – nicht mehr als Sie.«
    Sie schlug die Hände vor das Gesicht. Vanner seufzte und ging zu ihr. Er legte ihr die Arme um die Schultern und sagte: »Die Kapseln, die ich Ihnen dagelassen habe, sind eine sehr einfache Lösung, Gail. Ich weiß, daß es nicht richtig von mir ist, Ihnen diesen Ausweg zu bieten, aber ich verstehe weiß Gott, was Sie durchmachen – ich weiß sogar, wie Ihrer Mutter zumute war, Sie werden sich nicht nur ganz schläfrig fühlen … das kann ich Ihnen wenigstens versprechen …«
    Aber sie schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht tun. Und ich tue es nicht.«
    »Sie ziehen das Asyl vor?«
    »Ich kann es nicht – begreifen Sie das nicht? Ich will leben, Joel!«
    »Glauben Sie, das wäre ein Leben?«
    »Vielleicht kann ich mich erholen. Vielleicht kann ich gesund werden, nachdem ich jetzt über mich Bescheid weiß!«
    Barsch: »Und Sie nennen Halluzinationen ein Zeichen von Gesundung?«
    »Aber Sie haben mir doch geholfen, mich selbst zu verstehen! Vielleicht habe ich den Leichenbestatter deshalb noch einmal gesehen – weil ich in der Lage war, die Erinnerung endlich zu lösen! Ich vermochte mich davon zu befreien – sollte ich das nicht überhaupt tun?« Sie klammerte sich verzweifelt an ihn. »Sie haben mir geholfen. Sie haben mir geholfen! Ich weiß, daß ich jetzt gesund werden kann – Ihretwegen … Ich will nicht sterben! Ich will es nicht, Joel!«
    Er führte sie wieder zum Schlafzimmer. »Gehen sie hinein, Gail. Stellen Sie sich vor, was das bedeutet, den Rest Ihres Lebens zwischen gepolsterten Wänden zu verbringen und wie ein wildes Tier behandelt zu werden…«
    »Ich will nicht wieder in das Zimmer!«
    »Aber Sie müssen!« sagte er ärgerlich. »Sie wissen, was geschieht, wenn Sie es nicht tun.«
    »Ich gehe nach unten! Ich gehe in die Küche. Ich will etwas essen. Ich habe Hunger! Ob es das vielleicht war – der Mangel an Nahrung? Es heißt, Mystiker essen nichts, um Visionen zu haben …«
    Sie griff nach dem Geländer, und Vanner riß ihre Hand zurück.
    »Sie Dummkopf! Erkennen Sie nicht, daß ich recht habe?«
    »Es ist doch recht, wenn man leben will, Joel, nicht wahr? Nicht wahr?« Sie versuchte ihre Tränen zurückzuhalten, doch dann mußte sie wieder weinen. »Bitte lassen Sie mich los«, schluchzte sie. »Bitte! Ich will fort aus dem Zimmer … Ich will Mrs. Bellinger sprechen.«
    »Mrs. Bellinger schläft, und Sie sollten auch …«
    »Sie tun mir weh!«
    »Dies ist deine letzte Chance, Gail!«
    »Ich will da nicht rein – nein! Laß mich los, Piers! Bitte laß
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