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Hinter der Milchstraße - Roman

Hinter der Milchstraße - Roman

Titel: Hinter der Milchstraße - Roman
Autoren: Carl Hanser Verlag
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um die ALTEISEN KG , oder wie wir es besprochen hatten: zu unserem Clubhaus. Die Wände und das Dach fehlten, aber es passierte noch immer mehr als hier im Garten am Unterholzweg. Ich wollte auf dem Dach der Lagerhalle in der Nähe von Petras und Priits Gehämmer liegen, statt hier zu seufzen und zu schweigen und auf ein Mädchen zu warten, das nicht kam.
    »Welches Mädchen?«, erkundigte sich Bossie scheinheilig, aber ich schaute ihn nur an und bewegte den Oberkörper auf eine Weise hin und her, dass er gar nicht erst an den watschelnden Gang von Jeckyll denken konnte. Ich drückte die Zunge unter die Oberlippe und schob mir die langen Haare, die ich nicht hatte, zurück. Ich guckte wie das Mädchen mit den langen Beinen geguckt hatte.
    Bossie wusste nicht, wie er das Grinsen aus dem Gesicht bekommen konnte. Er gab mir einen schlaffen Klaps auf die Schulter.
    Ich schlug hart zurück. Ich sagte, ich fände ihn blöd. Schon den ganzen Sommer über hatte er nichts anderes getan, als zu maulen und zu meckern, aber erst gestern und heute war es mir so richtig aufgefallen.
    »Bossie«, sagte ich. »Kein Wunder, dass viele Leute Mädchen nicht leiden können, die so alt sind wie das Mädchen mit den gelben Haaren. Das liegt daran, dass die Leute sehen, was solche Mädchen bei Jungen anrichten. Unbegreiflich.«
    »Der Experte spricht«, sagte Bossie.
    »Das meiste habe ich von dir gelernt«, sagte ich und kroch aus dem Strauch.
    »Ist ja gut«, sagte er hinter meinem Rücken. »Wir gehen ja.«

ALTEISEN
    Auf dem Dach des Lagers trafen wir Geesje. Wir begrüßten sie. Unsere Stimmen wurden tief, sodass es sich plötzlich anhörte, als würden wir in einem Männerchor singen. Heute Morgen war viel los gewesen. Viel, viel los, so sangen wir.
    Geesje hörte auf zu lesen und schaute über den Rand ihres Buchs. Sie fragte, wann wir aufhören würden, ihr in der Sonne zu stehen.
    Sie hatte ein schmales Handtuch ausgebreitet und lag darauf wie auf einem Karton, der ein bisschen zu klein für sie war. Ihr Badeanzug war rosa, und ihre Sonnenbrille und ihre Slipper waren in der passenden Farbe ausgesucht.
    »Ich habe meine Zeit nützlich verbracht«, sagte sie mit geschlossenen Augen. »Ich habe auf unser Clubhaus aufgepasst.«
    Bossie grinste. »Eine halbe Stunde auf dem Rücken, eine halbe auf dem Bauch, eine halbe auf dem Rücken?«, sagte er.
    »Ha, ha, ha, ich muss lachen«, antwortete Geesje. Sie stützte sich auf die Ellenbogen, warf ihr Gewicht zu einer Seite und drehte sich auf den Bauch, um Bossie zu zeigen, dass er ihr den Buckel runterrutschen konnte.
    »Die ganze Zeit war es hier schön ruhig«, sagte sie.
    Bossie deutete auf die beiden Handtücher, die zusammengefaltet neben ihr lagen.
    »Schön ruhig, ja«, sagte er. »Und du hast uns, glaube ich, nicht erwartet.«
    Geesje warf einen Blick auf die Handtücher und schluckte.
    »Ihr dürft euch ruhig drauflegen, wenn ihr wollt«, sagte sie und drehte den Kopf zur Seite.
    Wir benutzten die Handtücher nicht.
    Bossie zog sein T-Shirt aus. Ich behielt mein Oberhemd an.
    Wir setzten uns neben Geesje, jeder auf eine Seite, Bossie auf die Mauer, unseren Aussichtsplatz, man wusste ja nie.
    Über dem Dach und über den Schrottstapeln im Innenhof der ALTEISEN KG konnte man sehen, wie sich die Luft bewegte. Es gab nicht den kleinsten Windhauch.
    Unten waren Petra und Priit an der Arbeit. Sie schraubten am Motor ihres alten Lieferwagens herum.
    Ich nickte ihnen zu.
    Sie nickten zurück.
    Bossie und Geesje und ich waren zu Beginn des Sommers dahintergekommen, dass Petra und Priit unsere Sprache nicht richtig sprechen konnten. Sie konnten einen Satz anfangen, den wir verstanden, aber sie konnten ihn nie richtig zu Ende bringen. Mittendrin verfielen sie in ein Gemurmel, sie probierten ein paar Wörter aus, in der Hoffnung, sie wären gut, aber es waren immer die falschen. Sie benutzten Wörter wie Ruder statt Rad und Zunge statt Zange, ansonsten stießen sie Töne aus, die ihnen gerade einfielen, und am Schluss warfen sie die Arme in die Luft und machten »Ah«, als täte ihnen etwas weh.
    Geesje sagte einmal, Petra und Priit würden Alteisisch sprechen. Seither taten wir so, als würde es diese Sprache wirklich geben, als könnte nur Geesje sie sprechen, auch wenn wir wussten, dass Petra und Priit nicht aus Alteisen kamen.
    »Was sagen sie jetzt?«, fragten wir Geesje, wenn wir wieder einmal einen Satz von ihnen aufschnappten.
    »Hm, das ist ein Wort, das ich nicht kenne«, sagte
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