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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern
Autoren: Friedrich Ani
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– in dieser einen Sekunde entblößt von aller Maskerade – wie beim Rauchen erwischte Kinder rot anliefen und eine Weile ihre Rolle vergaßen.
    An diesem grauen, windigen Sonntagmittag im Juni unterdrückte Clarissa Weberknecht ihr Verlangen nach einem doppelten Espresso und einem gerösteten Tramezzino. Aber nicht, weil das heitere Getümmel in dem engen Café ihre gedrückte Stimmung nur noch verschlimmert hätte. Es war das Lied, das sie von der halbgeöffneten Tür zurück in Richtung Kommissariat trieb und vor der ansteigenden Gasse nach links weiter ins Tal. Ein alter Celentano-Schmachtfetzen jagte sie aus der Ledererstraße bis zum Viktualienmarkt, zwischen hupenden Autos hindurch über die Blumenstraße auf den Reichenbachplatz, obwohl sie ihr Auto in der Nähe des Isartors geparkt hatte. Der Song hallte in ihr nach wie das Echo eines Fluchs, brachte sie außer Atem, scheuchte sie zweimal um den begrünten und bepflanzten Gärtnerplatz herum, bevor sie sich keuchend auf eine Bank fallen ließ, neben einen Obdachlosen, der ihr sofort seine Weinflasche hinhielt.
    Bei diesem Lied hatte sie Cornelius Mora endlich so weit gehabt, daß er ihr hinauf ins schwarze Zimmer folgte und aufhörte, von seiner Frau zu erzählen, die angeblich auf ein Klassentreffen gegangen war und jemandem ein Geschenk mitbrachte, das sie vor ihm verheimlichen wollte. Im Treppenhaus war Celentanos Stimme nur noch dumpf zu verstehen gewesen, aber Clarissa hatte ihr nachgehorcht, das wußte sie später noch, als plötzlich der Kommissar mit der wuchtigen Nase vor ihr auftauchte und ihr mit der Taschenlampe ins Gesicht leuchtete. Und sie wußte es jetzt, auf der Parkbank vor dem Supermarkt, neben dem übelriechenden Mann mit der grünen Flasche. Sie hörte ihre Schritte im Treppenhaus und die von Mora hinter ihr, und sie hörte die monotone Melodie des italienischen Schlagers. Und als sie die Tür des schwarzen Zimmers schloß, zögerte sie einen Moment und summte mit.
    Und nun saß sie hier und hatte womöglich ein Verbrechen begangen.
    »Nein«, sagte sie zu dem Mann im schäbigen roten Anorak, der sie unentwegt angaffte. »Er ist selber schuld, ich hab nichts getan. Er hätt zu Hause bleiben sollen und auf seine Frau warten. Wenn er sein ganzes Geld bei uns läßt, kann ich nichts dafür. Seine familiären Verhältnisse gehen mich nichts an, seine nicht und die von niemandem. Zu uns kommt jeder freiwillig. Was er getan hat, war unverantwortlich. Er hat die Regeln verletzt, er hat mich in die schlimmste Lage meines Lebens gebracht. Wegen ihm bleibt mein Laden geschlossen, zum erstenmal seit acht Jahren. Wer bezahlt mir meinen Ausfall? Seine Frau? Sie haben pleite gemacht. Und wenn ich wegen ihm ruiniert bin, dann wend ich mich an seine Frau, dann zieh ich sie zur Rechenschaft, dann wird sie büßen für das, was ihr Mann mir angetan hat. Starren Sie mich nicht so an. Ich werd mich nicht wegdrängen lassen. Durch die Dummheit und Verantwortungslosigkeit eines Mannes wird das, was Dinah und ich uns aufgebaut haben, nicht zerstört werden. Das laß ich niemals zu. Kaum ist seine Frau auf einem Klassentreffen, schleicht er zu uns und will spielen. Männer sind so. Ich kenne alle Sorten von Männern, auch wenn Dinah immer behauptet hat, es gäbe nur zwei Sorten von Männern, die vor und die nach dem Orgasmus. Das stimmt nicht. Man darf Männer nicht unterschätzen, und das haben wir auch nie getan. Sonst würden wir nicht mehr existieren, in unserem Job, im wahren Leben. Männer sind wie japanische Kugelfische, wenn du sie genießen willst, darfst du keinen Fehler machen, sonst stirbst du jämmerlich an ihrem Gift. Ich hab Dinah am Totenbett versprochen, unser Haus zu hüten, solange es irgendwie geht, und es gegen alle Widerstände zu verteidigen. So wie Trude ihren Laden verteidigt hat bis zum Schluß. Aber ich geb nicht so schnell auf wie Trude. Und einer wie Mora ist kein Gegner, der ist nur ein Dummkopf. Und Dummköpfe, glotz nicht so, können einer Frau wie mir schon lang nicht mehr das Kreuz brechen.«
    »Genau«, sagte der Mann und trank aus der Flasche und spuckte aus. Er brauchte eine Zeitlang, bis er begriff, daß die Frau nicht mehr neben ihm saß.

3 Ein Geschenk für niemanden
    D as war sein Sessel«, sagte sie. »Und da steht noch die Flasche, aus der er getrunken hat, und sein Glas. Und da, in der Fernsehzeitung hat er sich Sendungen angestrichen, die er interessant fand. Aber angeschaut hat er sie sich selten. Seit wir unser
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