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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern
Autoren: Friedrich Ani
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wankte mit dem Oberkörper vor und zurück, atmete mit offenem Mund und legte die beiden Papierknäuel neben sich. Eine Zeitlang sah sie die Kommissare stumm an.
    »Ich hab Ihnen gar nichts angeboten.«
    »Doch«, sagte Fischer. »Wir wollten nichts trinken. Sie haben heute nacht meiner Kollegin erklärt, Sie würden die Frau, bei der Ihr Mann gestorben ist, nicht kennen. Trotzdem wissen Sie, wo sich der Club befindet. Hat Ihr Mann Ihnen davon erzählt?«
    Ihr Mund zuckte, wie kurz vor einem Lächeln. »Ich bin ihm nachgegangen. Nur ein Mal. Ein einziges Mal. Er hat nichts gemerkt, er war wohl sehr in Gedanken an das, was er vorhat. Ich will das nicht wissen. Ihre Kollegin, ihren Namen weiß ich nicht mehr …«
    »Frau Barbarov«, sagte Fischer.
    »Sie hat mir Einzelheiten genannt, und ich hab sie aufgefordert, still zu sein. Was mein Mann da getrieben hat, geht nur ihn was an. Er dachte, ich weiß nichts. Und ich weiß ja auch nichts. Ich weiß nur, daß diese Frau ihm das Leben genommen hat. Wie, das will ich nicht wissen, er ist tot, und ich bin allein. Und wenn ich an die Berichte in den Zeitungen denke, wird mir schlecht. Dann sind unsere sechsundzwanzig Jahre Geschäftsleben bloß noch einen Dreck wert. Stellen Sie sich vor, das wäre früher passiert. Die Leute hätten uns die Zunge rausgestreckt. Da steht mein Mann in seinem weißen Kittel hinter der Theke und verkauft Filme und redet mit seiner sanften Stimme über Brennweiten und so, und am nächsten Tag lesen die Leute in der Zeitung, wo er sich nach der Arbeit herumgetrieben hat. Wenn das passiert wär, dann hätt ich mich umgebracht, das wär schlimmer als die Schmach gewesen, mit der wir am einunddreißigsten Dezember für immer zugeschlossen haben. Den Schmutz, der dann über uns ausgegossen worden wär, hätt ich nicht ertragen, da wär ich vorher in die Isar gegangen. Jetzt können die Leute reden, was sie wollen, sie müssen mir nicht mehr ins Gesicht sehen, wenn sie sich ekeln. Nein, Herr Fischer, für meinen Mann war die Pleite keine Schmach, er tröstete sich damit, daß andere Geschäftsleute in der Stadt das gleiche Schicksal erleiden, die Konkurrenz wird immer härter, und billiger. Die Kunden werden launischer und geiziger. Die Materialien werden teurer, die Nebenkosten steigen, wir können nicht so viele Rabatte geben wie andere, größere Läden. Für mich ist das kein Trost. Wir leben seit mehr als dreißig Jahren in diesem Viertel, in der Josephsburgstraße, ich bin hier zu Hause, ich kenne jeden Nachbarn, wenn ich einkaufen gehe, werde ich gegrüßt, und wenn ich nach der Arbeit bei Luis mal einen Wein trinke, gehts mir gut. Sie finden das bestimmt banal oder sentimental, aber ich rede hier von meinem Leben, mehr hab ich nicht. Und jetzt hab ich noch weniger.«
    Mit einem Ruck neigte sie sich zum Tisch hin, griff nach der Flasche, warf den Kommissaren einen Blick zu, nickte entschlossen und goß einen Schluck Calvados in das von ihrem Mann benutzte Glas. Sie legte den Korken neben die Flasche und hob das Glas. »Prost. Ich bin jetzt Witwe, ich darf um diese Uhrzeit Schnaps trinken.« Sie trank, unterdrückte ein Husten, nickte wieder und stellte das Glas hin. »Wird die Frau ins Gefängnis kommen?«
    »Nach unseren bisherigen Ermittlungen war es ein Unfall« , sagte Fischer. Er beobachtete das nervöse Flattern der Finger von Karin Mora und begann, sich auf Verse zu konzentrieren, die er aus der maßlosen Stille seiner Vergangenheit holte.
    »Aber unsere Spurensuche ist noch nicht abgeschlossen. Haben Sie noch einmal über das nachgedacht, worum meine Kollegin, Frau Barbarov, Sie gebeten hat?«
    Sie rieb die Lippen aufeinander. »Ja«, sagte sie, ohne Fischer anzusehen, nur das Glas, an dessen Rand sie den blassen Abdruck ihres Lippenstifts entdeckte. »Die halbe Nacht habe ich überlegt, aber mir ist nichts eingefallen, mein Mann hat keine Andeutungen gemacht, nichts. Wie immer. Nur, daß er noch bei Luis was trinken wollte. Warum ist das so wichtig? Glauben Sie, es war kein Unfall, sondern … sondern was anderes? Was denn? Was hätte er denn sagen sollen, vorher? Er hat nie was gesagt, wenn er dorthin gegangen ist. Und nachher auch nicht. Das ist doch Ihr Job, rauszukriegen, warum die Frau ihn … Warum die nicht aufgepaßt hat …«
    Sie streckte den Arm nach der Flasche aus, senkte ihn und rieb mit beiden Zeigefingern an den Daumen. »Nein. Ich bin weggegangen, und er ist weggegangen, und wir haben kaum ein Wort gewechselt. Ich hab
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