Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
Geschäft schließen mußten, ist es still geworden hier in der Wohnung. Bitte setzen Sie sich. Möchten Sie wirklich nichts trinken? Sie auch nicht, Herr … Jetzt weiß ich Ihren Namen nicht mehr.«
    »Schell.«
    »Schell, wie der Schauspieler. Sind Sie womöglich verwandt?«
    »Nein. Warum mußten Sie Ihr Geschäft schließen, Frau Mora?«
    »Warum? Warum? Das kann man nicht sagen. Mein Mann hat sich diese Frage hundertmal am Tag gestellt. Und ich auch. Er gab vor allem sich die Schuld.«
    »Warum gab er sich die Schuld?« fragte Polonius Fischer, der seine langen Beine umständlich unter dem Couchtisch ausstreckte. Auf einem unlinierten Block notierte er sich Stichpunkte.
    Karin Mora trug eine lange, gehrockartige schwarze Strickjacke und einen schwarzen Rock und knetete zwei Papiertaschentücher in ihren Händen. Sie stand im Wohnzimmer wie in einer ungewohnten, unbewohnten Umgebung, ratlos sah sie sich um. Ihr Blick schien nach etwas Vertrautem zu suchen, nach einem Anhaltspunkt.
    Karin Mora war dreiundfünfzig Jahre alt und ihr Gesicht so grau wie ihre lockigen Haare, in den Pausen zwischen ihren Sätzen biß sie sich auf die Lippen und atmete schwer.
    »Er redete sich ein«, sagte sie, »seine Kunden wären als erste weggeblieben. Die Leute, die Fotoapparate kauften oder Bilder zum Entwickeln brachten. Das war sein Bereich, oben, im ersten Stock. Ich hatte meine Parfümerie unten, mein Sortiment war vielfältig, es kamen sogar Prominente zu mir, nicht jemand wie Maximilian Schell, das nicht, aber Prominente aus der Stadt, und zwar über Jahre sind sie gekommen und waren immer zufrieden. Dann nicht mehr.«
    Sie tupfte sich die Nase und schluckte mehrmals hintereinander.
    »Bitte setzen Sie sich zu uns«, sagte Fischer.
    Sie schüttelte den Kopf. »Gleich. Dann kamen sie nicht mehr. Mein Mann kannte sich auch gut aus mit Videokameras und mit den neuen digitalen Apparaten, den kleinen, von denen Sie die Bilder auf Ihren Computer laden können. Er hat sich immer weitergebildet, abends, sonntags. Sogar einen Quickservice hatten wir, fertige Bilder in zwei Stunden, wir schickten einen Boten ins Labor, und der brachte sie auch wieder zurück. Ein Spitzenkundenservice. Und ich hab Seminare besucht, Ayurveda, spezielle Hautpflegetechniken, Aromatherapien, alles mögliche. Wir haben uns nie ausgeruht. Sechs Tage die Woche haben wir geöffnet gehabt, das war unvermeidlich, die Leute wollten das so. Auch wenn samstags ab zwölf kaum noch jemand gekommen ist. Die Leute fahren dann lieber in die Innenstadt, wir sind hier in der Peripherie, in Berg am Laim. Da gibt’s viele, die denken, in der Stadt kriegen sie eine bessere Qualität von allem, Kosmetika, Fotoapparate, Bilderrahmen. Und billiger. So denken die Leute. Kann schon sein, daß sie in einem Kaufhaus fünfzig Cent sparen, oder auch mal zwei Euro. Aber dafür müssen sie fürs Parkhaus bezahlen, oder den Strafzettel, und sie müssen essen gehen, und sie müssen die U-Bahn bezahlen, oder das Benzin fürs Auto. So rechnen die Leute aber nicht. Mein Mann schon. Ich auch. Wir schon. Sechsundzwanzig Jahre haben wir unser Geschäft geführt. Und dann sind die Kunden nicht mehr gekommen. Als hätten sie sich verabredet gehabt und beschlossen, wir gehen jetzt woanders hin. Nach Haidhausen. Nach Bogenhausen. In die Innenstadt. Man kann nicht sagen, daß sie von einem Tag auf den andern wegblieben, aber heut würde ich behaupten, die Schmach ist innerhalb von ein paar Monaten über uns gekommen und nicht mehr verschwunden. Vier Monate, fünf Monate, länger dauerte das nicht, und wir waren erledigt. Mein Mann oben in seiner Abteilung und ich unten bei mir. Und wir haben morgens aufgesperrt und Löcher in die Luft gestarrt. Und mein Mann hat kein Wort gesagt, und ich hab kein Wort gesagt. Und wenn ein Kunde gekommen ist, haben wir ihn bedient, als wär nichts, und dann haben wir wieder geschwiegen, jeder in seiner Abteilung. Früher hatten wir zwei Angestellte. Schon lang nicht mehr.«
    Sie drehte den Kopf zum Fernseher, kniff die Augen zusammen und machte einen wackligen Schritt auf die Couch zu. Als Fischer sie ansprach, wirkte sie eine Weile vollkommen abwesend.
    »Für Sie ist das Ende Ihres Geschäftslebens eine Schmach. Hat Ihr Mann das auch so empfunden, Frau Mora?«
    Mit einer Faust stützte sie sich auf der Couchlehne ab, beugte sich zur Seite und ließ sich wie jemand, der nach einem strapaziösen Weg ausgelaugt sein Ziel erreicht hat, aufs Polster fallen. Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher