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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern
Autoren: Friedrich Ani
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glauben. Wir bleiben bei unserem Prinzip. Also, was wollen Sie noch von mir? Glauben Sie immer noch, ich hab den Mann absichtlich … absichtlich …«
    »Sie haben ihn getötet.« Fischers Stimme war tonlos.
    Clarissa hielt sich die Hand vor den Mund. Ihr zuversichtliches Empfinden, das ihr soeben noch das Sprechen erleichtert hatte, verwandelte sich in einen Alpdruck, der ihrem Zustand unmittelbar nach dem Geschehen glich, als sie sich das fremde Blut aus dem Gesicht wischte und den Blick nicht von dem Mann abwenden konnte.
    Ja, er starb durch ihre Hand.
    Ja.
    Trotzdem war das eigentlich nicht möglich. Er hatte sich falsch verhalten, ganz falsch. Er hatte die Regeln verletzt, er hatte die Hand aus der Schlinge gezogen, er hatte alles vermasselt.
    Genauso hatte sie es dem Kommissar erzählt. Gestern nacht. Heute früh. Hans hatte sie nichts erzählt. Er war besoffen nach Hause gekommen, und als die Polizisten um halb acht bei ihr geklingelt hatten, schnarchte er einfach weiter.
    Sie hatte einen Mann getötet. Den freundlichen Herrn Mora.
    »Warum hat sich der Mann bei Ihnen auspeitschen lassen?« fragte Fischer und bemerkte, wie Valerie auf die Uhr an ihrem Handgelenk zeigte. Aber er wollte jetzt keine Pause einlegen.
    »Was?« Clarissa verschluckte sich und hustete. »Entschuldigung. Warum? Das weiß ich nicht.«
    »Sie haben ihn nie gefragt?«
    »Doch. Ich glaub schon. Ich weiß es nicht mehr. Irgendwann wollte er es ausprobieren, und es gefiel ihm. Nie ist was passiert. Das wär doch Irrsinn. Wir mißhandeln doch niemanden.«
    »Herr Mora war Stammgast bei Ihnen.«
    »Das hab ich doch schon gesagt. Er kam alle zwei, drei Monate. Jetzt fällt mir etwas ein. Ich hab’s vergessen gehabt, ganz vergessen.« Sie ruckte mit dem Stuhl und umklammerte die Tischkante. Strähnen ihrer hellblonden Haare, die sie, ähnlich streng wie der Kommissar, zurückgekämmt und mit einem schwarzen Band zusammengebunden hatte, fielen ihr vors Gesicht. »Er hat noch was gesagt, bevor er … bevor er nicht mehr sprechen konnte … Er hat gesagt … Halt den Zug auf! Wieso hab ich das vergessen? Halt den Zug auf. Und noch was. Irgendwas von Schmach, ich weiß nicht mehr genau. Schmach. Das war, als ich ihn schon … als er schon … Das fällt mir jetzt wieder ein.«
    »Gut. daß Sie noch nicht gegangen sind«, sagte Fischer.
    Clarissa nickte und wagte ein dürres Lächeln. »Halt den Zug auf. Haben Sie seine Frau vernommen?«
    »Sie wird psychologisch betreut, ich spreche später mit ihr.«
    »Halt den Zug auf«, sagte Clarissa leise.
    »Sie haben ausgesagt, Herr Mora war angetrunken, stärker als sonst.«
    Sie nickte, mehrmals hintereinander, in Gedanken verstrickt.
    Die meisten Männer, die zu ihr kamen, waren angetrunken, und die, die nüchtern waren, benahmen sich nicht zwangsläufig besser, eher fordernder, herablassender, gönnerhaft oder einfach nur dumm und selbstgefällig. Alltag.
    Der Herr Mora. Cornelius. Ein unscheinbarer Gast, der aus Gründen, die außer ihm niemand kannte, Gefallen am schwarzen Zimmer gefunden hatte.
    Wieder sah sie ihn da hängen, mit schaukelndem Arm. Sie hörte das Ploppen des Blutes auf die Kunststoffplane. Sie hielt die Gerte fest umklammert, den geriffelten Gummigriff. Sie hielt eine Mordwaffe in der Hand.
    Nein. Das war keine Mordwaffe.
    »Herr … Jetzt hab ich Ihren Namen vergessen.«
    »Fischer.«
    »Entschuldigung. Ich erkläre Ihnen jetzt zum letztenmal, Herr Fischer: Herr Mora hat sich nicht so verhalten wie verabredet, offensichtlich wollte er die Behandlung abbrechen, ohne mir seinen Entschluß rechtzeitig mitzuteilen. Er befreite sich, und das war sein Todesurteil.«
    Sie wandte den Kopf zu Valerie und wartete, bis diese zu Ende geschrieben hatte, dann schob sie den Stuhl ein Stück zurück und stand auf. »Ich hab alles gesagt. Meine Mitarbeiterinnen und auch Herr Petrov haben Ihnen bestätigt, wie der Abend verlaufen ist und daß Herr Mora, wie schon öfter, auf dem Andreaskreuz bestanden hat. Ich hab ihn auf seinen eigenen Wunsch hin festgebunden, und er hat in die Behandlung eingewilligt. Sein Tod war ein schreckliches Unglück.«
    Einen Moment lang fragte sich Fischer, ob ein Anwalt ihr diese Sätze vorgegeben hatte.
    Er stand ebenfalls auf. Bei einer Größe von einem Meter zweiundneunzig berührte sein Kopf beinah die Zimmerdecke.
    »Sie müssen das Protokoll noch lesen und unterschreiben. Sie dürfen die Stadt nicht verlassen. Wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind, wird der
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