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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern
Autoren: Friedrich Ani
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Hände in den Schoß und warf einen Blick auf die Zeiteinblendung am unteren Bildschirmrand. Zehn Uhr fünfzig. Um Punkt acht Uhr hatte die Vernehmung begonnen. Nach Valeries Einschätzung gab es für ein Verbrechen keine Anhaltspunkte, es war ein Unglück, die Frau traf keine Schuld.
    »Warum haben Sie den Schlag nicht zurückgehalten, Frau Weberknecht?« fragte Polonius Fischer von seinem Platz am Tisch aus.
    Hastig beugte Valerie sich nach vorn und schrieb mit. Die Frage hatte der Hauptkommissar schon einmal am Anfang gestellt.
    »Das hab ich Ihnen doch erklärt«, sagte Clarissa Weberknecht. Sie drehte sich zu ihm und steckte die Hände in die Hosentaschen und machte einen Schritt auf ihn zu. »Ich dachte, wir sind jetzt fertig.«
    »Bitte setzen Sie sich wieder.«
    »Ist das nötig, daß der Club geschlossen bleibt? Kann ich nicht wenigstens die Bar öffnen? Nur Getränkeausschank und die übliche Animation in den Nischen. Ich garantiere Ihnen, niemand geht nach oben, nicht mal die Putzfrau. Ich kann mir eine Schließung nicht leisten, die Geschäfte laufen nicht mehr so gut wie früher, das müssen Sie doch wissen.«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Kriegen Sie keine Statistiken aus dem Milieu oder Informationen von Ihren Informanten?«
    »Sie sind hier bei der Mordkommission, Frau Weberknecht. Setzen Sie sich bitte.«
    Sie riß die rechte Hand aus der Hosentasche und schlug durch die Luft. »Ich will mich nicht setzen. Ich will gehen. Ich will arbeiten.«
    Fischer deutete auf den Stuhl, so lange, bis die Frau, ohne die andere Hand aus der Hosentasche zu nehmen, widerwillig seiner Aufforderung folgte. Sie schlug die Beine übereinander und starrte die Wand an.
    »Sie betreiben den Club seit acht Jahren«, sagte Fischer.
    »Sie hatten nie die Polizei im Haus …«
    »Doch.« Sie wich seinem Blick aus. »Zwei-, dreimal wegen Ruhestörung, betrunkene Gäste haben sich dumm benommen. Wir haben die Nachbarn beruhigt, und die Sache war erledigt. Außerdem sind wir nicht der einzige Club in der Straße.«
    »Sie sind der kleinste der drei.«
    »Ja, und?« Sie hob das Kinn und sah ihn mit Stolz im Blick an.
    Fischer lächelte. Auf seiner durch ihre enorme Krümmung hervorstechenden, wuchtigen Nase bildeten sich Fältchen, die seinen ernsten, konzentrierten Gesichtsausdruck augenblicklich entspannt wirken ließen. Da er seine ergrauenden Haare streng nach hinten gekämmt hatte, traten seine fleischigen Wangenknochen stärker als sonst hervor und verliehen seinem schmalen Gesicht einen Ausdruck von Entschlossenheit und Willensstärke. Seine schwarzen Augen, die gelegentlich eine eigenartig braune Färbung annahmen, verfolgten jede Geste seines Gegenübers, ohne die geringsten Anzeichen von Ungeduld oder Berechnung. Mit leicht gebeugtem Rücken, die eine Hand auf dem Tisch, während er den anderen Arm baumeln ließ, wirkte Polonius Fischer wie ein mit unerschöpflicher Neugier und auch mit einem für die abseitigsten Ereignisse grenzenlosen Verständnis gesegneter Zuhörer.
    In Wahrheit marterte ihn der Zwang zu Verständnis, Neugier und Geduld oft mehr als die Fragen nach dem Hintergrund und präzisen Ablauf eines Verbrechens. Wäre er nicht neun Jahre lang Tag für Tag zu harter Disziplin und religiösem Respekt erzogen worden, hätte er vor, in und nach manchen Ermittlungen Flüche durch die Flure des Kommissariats geschickt, die seine abgebrühten Kollegen nie für möglich gehalten hätten.
    Aber wenn er lächelte, hatte niemand etwas zu befürchten. Zumindest eine Weile nicht. »Sie haben sich behauptet«, sagte er.
    »Ja, das hab ich, und ich arbeite hart dafür, daß wir den Status erhalten, den wir erreicht haben, meine Frauen und ich. Wir sind nur zu viert, das bedeutet, wir können uns Nachlässigkeit und übertriebenes Gehabe nicht leisten. Wir sind eine Art Familienbetrieb, jeder verläßt sich auf den anderen, jeder übernimmt Verantwortung, jeder hat das gleiche Interesse, nämlich das Geschäft. Und wenn wir übernächstes Jahr unser Jubiläum feiern, dann wissen wir, was wir in den zehn Jahren geleistet haben. Unsere Kunden sind treu, und wir haben Gäste aus ganz Deutschland und auch aus der Nachbarschaft. Und wer nur ein Bier trinken und eine schöne Frau anschauen möchte, ist bei uns genauso willkommen wie jemand mit Sonderwünschen. Bis zu einer bestimmten Grenze. Wir machen nichts, was wir nicht wollen, egal, was der Mann dafür bezahlen würde. Wir haben schon Gäste verloren, das können Sie mir
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