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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern
Autoren: Friedrich Ani
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gern noch einmal unterhalten, Sie haben versprochen, mich zu besuchen, und darüber würde ich mich freuen. Aber ich glaube, wir sollten uns nicht bei mir zu Hause treffen, da sind meine Eltern und mischen sich ein und schütten Sie mit Fragen zu und stehlen uns die Luft. Mit Ihnen wäre ich lieber woanders.
    Wie wäre es, wenn Sie mal an einem Freitag oder Samstag in den Jennerwein kämen? Da könnten wir uns ans Fenster setzen und uns unterhalten. Oder nur dasitzen und schweigen, was noch schöner wäre. Natürlich würden Sie den Altersdurchschnitt ziemlich anheben, und die anderen werden Sie wahrscheinlich etwas seltsam anschauen. Nur am Anfang, das verspreche ich Ihnen, die Leute da sind nicht aufdringlich oder stellen dämliche Fragen. Hoffentlich ist Ihnen die Musik nicht zu laut, Ihr Musikgeschmack ist bestimmt komplett anders. Was halten Sie von der Idee?
    Außerdem wollte ich Ihnen noch sagen, daß ich froh bin, daß Sie mich nicht am Wegrand liegen gelassen haben. Das wollte ich Ihnen schon vorgestern im Verhör in Ihrem Kommissariat sagen, aber da waren Ihre Kollegen dabei, und da habe ich mich nicht getraut. Wenn Sie nicht gekommen wären, würde ich immer noch bei Arthur wohnen, und das wäre dann auch richtig. Trotzdem fühle ich mich jetzt ichiger als vorher. Im eigenen Zimmer zu sein ist besser als in einem fremden.
    Leider muß ich mein Zimmer dauernd verlassen, wegen meiner Eltern und wegen der Schule, in die ich ab nächster Woche wieder gehe. Das wird ein Geschrei geben. Ich werde allen Sprechverbot erteilen, vor allem Stefanie. Es müßte eine Regelung im Leben geben wie im Straßenverkehr: Wer zu oft falsch spricht, bekommt die Stimme entzogen wie einen Führerschein, und je nachdem, wie falsch das Falsche war, das er gesprochen hat, desto höher die Strafe, desto länger muß er die Stimme abgeben.
    Ich weiß schon, jetzt lachen Sie mich aus. Lachen Sie überhaupt? Sie haben so etwas Ernstes, fast Feierliches in Ihrem Wesen, das kommt wahrscheinlich noch vom Kloster.
    Lieber Herr Polonius, wenn Ihre Zeit und Ihre Funktion es erlauben, würde ich mich sehr freuen, wenn Sie in den Jennerwein kämen, um mit mir ein Bier zu trinken. Ich bin jeden Freitag- und Samstagabend dort, und damit Sie nicht erst einen Stadtplan suchen müssen: Das Lokal liegt an der Ecke Clemens- und Belgradstraße.
    Ich erwarte nichts von Ihnen, ich möchte Sie nur gern treffen, weil Sie so unmaskiert mit mir gesprochen haben, Sie hätten auch etwas ganz anderes sagen oder mich beschimpfen oder verurteilen können. Vielleicht sind Sie der erste Mensch, der mich nicht verurteilt hat, bloß weil ich so bin.
    Und noch etwas: Vorhin habe ich aus dem Fenster geschaut, weil ich die Sterne sehen wollte. Es waren keine da, aber ich habe sofort gedacht: Ich aber schon!
    Ist das nicht eigenartig? Ich bin da, habe ich gedacht, und das war eigentlich ein Unding. Aber ich habe es mehrmals gedacht, vier- oder fünfmal hintereinander. Können Sie mir erklären, warum?
    Es grüßt Sie sehr herzlich: Linda, Erdbewohnerin.

30 Auf offener Straße
    B ist du noch anwesend?« fragte Polonius Fischer. »Oder eher nicht mehr?«
    Sein Vater hatte beide Hände um eine Bierflasche geklammert und sah hinüber zu dem rechteckigen Holztisch mit dem grünen Spielfeld aus Filz und den bemalten Fußballspielerfiguren aus Metall.
    »Soll ich Ihnen ein Wasser holen?« sagte Ann-Kristin Seliger.
    Leonhard Fischer verzog den Mund. »Acht zu vier«, murmelte er. »Der Argentinier ist untergegangen.«
    »Das wissen wir schon, Papa.«
    »Untergegangen. Acht zu vier.« Der Dreiundsiebzigjährige hob die Flasche an den Mund und blies hinein. Vor dem Besuch seines Sohnes und dessen Freundin hatte er mit seinem besten Freund Richard Hopf, dem die Pension am Tassiloplatz gehörte, in der er seit seinem sechzigsten Geburtstag lebte, die Begegnungen der letzten Fußballweltmeisterschaft fortgesetzt. Das war die Lieblingsbeschäftigung der beiden Männer. Stundenlang saßen sie am Tisch in Fischers Zimmer und spielten Tipp-Kick. Auf und in der aufklappbaren Bank lagen Stapel von Sportmagazinen mit Berichten über die Turniere der vergangenen dreißig Jahre. Manchmal spielten sie um Geld, meistens um Bier oder diffuse alkoholische oder halbalkoholische Getränke, die Hopf von seinen Besuchen in der Tankstelle gegenüber mitbrachte.
    Und da Polonius Fischer sein Kommen am Nachmittag nicht angekündigt hatte, waren die alten Männer bereits in munterer Verfassung, als sie
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