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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern
Autoren: Friedrich Ani
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sein, vor Herrn Fischer erniedrigt und gelogen wie die Männer, die in ihrer Welt verkehrten.
    Das würde sie dem Kommissar niemals sagen und niemandem. Das war das Liebesein zwischen Dinah und ihr, und das war heilig und gottlos. Und wenn sie den Rest ihres Lebens in einer geschlossenen Zelle verbringen mußte, wäre sie jeden Tag geborgen in der Stille des Schnees.
    Darüber zu sprechen wäre wie ein Verrat.
    Und in ihrem schwarzen Hosenanzug legte sie sich auf das harte Bett, neben sich das Handtuch und den Waschbeutel, die Hände überkreuz auf dem Bauch, und sie dachte an das unscheinbare Haus in Berg am Laim. Das Licht, das dort brannte, tagsaus und nachtein – es war ein verwundetes Licht von Anfang an, dachte Clarissa, und jetzt war es aus.
     
    »Mehr möchten Sie vorerst nicht aussagen?« fragte Polonius Fischer.
    »Vorerst nicht und später nicht.«
    »Sie haben Bertold Gregorian erwürgt.«
    »Mit seinem eigenen Handtuch.«
    »Wo ist das Handtuch?«
    »Weggeworfen. Im Wald.«
    »Sie werden uns die Stelle im Perlacher Forst zeigen, wo Sie Gregorians Leiche vergraben haben.«
    »Nein.«
    »Sie sollten es tun«, sagte Fischer. »Ihre Mithilfe wird sich auf die Bemessung Ihres Strafmaßes auswirken.«
    »Das ist ein schöner Satz«, sagte Clarissa Weberknecht. »Ich werde mit meinem Anwalt darüber sprechen.«
    »Wann?«
    »Wenn ich ihn sehe.«
    »Er ist im Haus«, sagte Fischer. »Sie haben das Recht, sofort mit ihm zu sprechen.«
    Langsam wie jemand, der in Konzentration versinkt, neigte sie den Kopf und legte, nach vorn gebeugt, mit gestreckten Armen, die Hände auf den Tisch. So saß sie schweigend eine Weile da. Aus Valeries Blickwinkel sah es aus, als würde sich die Täterin vor dem Kommissar verbeugen, als gestehe sie mit dieser Gebärde, wie ein Tier, ihre Unterlegenheit ein.
    Für ein paar Minuten verstummten vom Flur her die Stimmen und Geräusche.
    Noch während sie die Schultern hob, fing sie an zu sprechen, an Fischer vorbei, zur Wand hin. »Halten Sie das für angemessen? Daß ich mich erst mit meinem Anwalt berate? Hat das Stil? Wirft das ein besseres Licht auf mich? Nein. Das Licht spielt keine Rolle mehr. Ich zeig Ihnen die Stelle, ich hoffe, ich find sie wieder. Ich glaub, die Schießstände sind nicht weit entfernt. Jägersteig, so heißt die Straße, die ich gefahren bin. Als Mädchen war ich da früher oft, mit meinen Eltern, wir haben in Unterhaching gewohnt. Ich weiß nicht, warum ich in dieser Nacht ausgerechnet an den Perlacher Forst gedacht hab.«
    »Ihre Eltern leben immer noch in Unterhaching?« fragte Fischer.
    »Ja, aber wir haben keinen Kontakt.«
    »Wegen Ihres Berufs.«
    »Wegen meines ganzen Lebens.«
    »Ihre Eltern haben sich nicht gemeldet, als Sie wegen des Todes von Cornelius Mora vor Gericht standen?« sagte Fischer.
    »Nein.« Sie seufzte und sah hinauf zum Fenster und lächelte, aber in sich hinein, unauffällig und eine ganze Weile.
    Fischer erhob sich. »Haben Sie Hunger, Frau Weberknecht? Möchten Sie noch einen Kaffee?«
    »Nein«, sagte sie sofort. »Lassen Sie uns aufbrechen.«
     
    Zwei Tiere der Hundestaffel erschnüffelten innerhalb einer halben Stunde den vergrabenen Leichnam im Perlacher Forst südlich von München. Clarissa Weberknecht machte keine weiteren Aussagen. Bis zur erneuten Vernehmung, in der Polonius Fischer und Micha Schell im V-1 die genauen Umstände des Todes von Bertold Gregorian und Josef Nest klären wollten, wurde Clarissa ins Frauengefängnis am Neudeck gebracht. Dort kam sie in eine Einzelzelle. Ob sie zur Beerdigung ihres Lebensgefährten Hans Fehring Ausgang erhalte, fragte sie an der Zellentür.
    »Vielleicht«, sagte Polonius Fischer.
    »Danke«, sagte sie und wandte sich um.

28 Der Finsternis am allernächsten
    I ch wollte, daß du weggehst«, sagte sie zu niemandem. »Wieso hast du dich an mich geklammert wie ein Affe und an mir herumgezupft? Wieso wolltst du mich festhalten? Ich mag das nicht, wenn man mich festhalten will.
    Hans, mein Herz, du hast sterben müssen, weil der Mörder sich nicht getraut hat, mich zu töten. So feige, so feig. Ich hab ihn bestraft. Bert. Bertold Niemand.
    Und du, was treibst du dich nachts im falschen Hof herum? Du gehörst doch da gar nicht hin, du hast dich verlaufen. War das Vorsehung oder Schicksal? Ein Gast hat mir einmal erzählt, es gäbe da einen Unterschied, das hab ich mir gemerkt. Man kann sein Schicksal in die eigene Hand nehmen, nicht aber die Vorsehung, die steht von Anfang an fest.
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