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Hingabe

Hingabe

Titel: Hingabe
Autoren: Peter Postert
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nackt aufs Bett gekniet? Weil du mich nicht erreichen konntest?“
    „Nein. Natürlich nicht deswegen.“
    Lena suchte händeringend nach Worten. Nach den richtigen Worten. Sie suchte mit einem kurzen Blick M., der in dem Sessel ihr gegenüber saß. Die Sorge war nicht aus seinem Gesicht gewichen.
    ‚Seltsam, dass ich jetzt ihn anschauen muss‘, dachte Lena.
    „Marcus, lass mich dir erzählen…“
    Und Lena erzählte. Sie fing mit der U-Bahn-Fahrt an. Der Begegnung, die sie berührt hatte und zugleich aufgeweckt. Immer wieder musste sie dabei M. anschauen. Als brauchte sie seine Bestätigung, seine Zustimmung. Aber sie brauchte mehr seine Bestätigung und seine Nähe. Als brauchte sie einen Anwalt, einen Verteidiger für sich. Dass sie nicht anders konnte. Sondern dass es so sein musste. Sie ließ wenige Dinge aus, die beschrieben, wie es zu allem gekommen war, erzählte aber keine Details. Lena versuchte, sich nicht zu verteidigen, sondern nur zu erklären.
    Sie merkte gar nicht, dass in ihrer Stimme genau die Emotionen mitschwangen, die sie erlebt hatte. Aber nur genau das wollte sie auch tun. Sie wollte Marcus irgendwie begreiflich machen, wieso sie so gehandelte hatte. Nicht damit er ihr verzieh, sondern um es ihm begreifbar zu machen, ungeachtet aller Konsequenzen. Während ihrer Erzählung wechselten ihreBlicke von Marcus zu M. und wieder zurück. Marcus schaute interessiert, ließ aber sonst wenig Regung erkennen. M. hatte immer etwas Beschützendes und Umsorgendes im Blick. Warum hatte er es, Marcus aber nicht. Warum schaute er sie völlig emotionslos an? Okay, in dieser Situation musste er ihr nicht um den Hals fallen, das war Lena klar. Aber völlig frei von Emotionen ihren Ausführungen zuhören, eher interessiert als fassungslos, so kannte sie ihn nicht, so hätte sie ihn nicht eingeschätzt. Es war ihr, als ob die Rollen der Männer vertauscht wären. M. der Beschützer, der Mann, der sie kannte, den SIE kannte, und Marcus, der Fremde, der Voyeur.
    ‚Marcus der Voyeur?‘
    Lena spürte, wie ihr plötzlich heiß und kalt wurde. Ein schrecklicher Verdacht stieg in ihr auf.
    ‚Marcus war ein Voyeur. Er ist hier einfach so in das Zimmer gekommen. Das konnte er nur, wenn er wusste, dass sie hier war. Und wann sie hier war. Er musste es gewusst haben. Von M.? Von wem sonst.‘
    Lena schluckte. Sie schaute zu M. Dann drehte sie den Kopf zu Marcus. Sein Blick hatte sich nicht verändert. Interessiert. Berechnend. Forschend. Aber ihr Blick hatte sich verändert. Nachdem sie vorhin etwas ängstlich, zumindest aber unsicher gewesen war, wuchs sie nun. Ihr Selbstbewusstsein kehrte zurück, ungeachtet ihrer Position. Immer noch kniete sie nackt auf dem Bett.
    „Marcus, wie bist du hierhergekommen? Du warst ein paar Tage nicht erreichbar. Und jetzt bist du auf einmal hier? Wie kommt das?“
    Marcus lächelte. Das erste Mal an diesem Abend.
    „Ich glaube nicht, dass du in der Position bist, mich so etwas zu fragen. Im wahrsten Sinne des Wortes bist du das nicht.“
    Seine Stimme war leise, fast tonlos.
    „Wie auch immer ich hierhergekommen bin, ich finde dich nackt in einem Hotelzimmer auf einem Bett kniend. Du hast eine Augenbinde getragen und hältst eine Gerte in deinem Mund. Und du fragst allen Ernstes MICH, warum ich auf einmal hier bin? Spielt das denn irgendeine Rolle?“
    „Und ob das eine Rolle spielt. Ich habe dir alles gesagt. Ich…“
    Marcus schnitt ihr das Wort ab. Er wurde jetzt lauter:
    „Es spielt nicht die geringste Rolle. DU hast mich hintergangen. DU bist mit einem Fremden losgegangen. Du hast alles getan, was er wollte. Und jedes Mal bist du weiter gegangen.“
    Marcus redete sich richtig in Rage. Er wurde lauter. Lena wagte nicht, ihn zu unterbrechen.
    „Nach allem, was wir hatten. Wie kannst du so etwas tun. Wie konntest du so etwas tun. Ich wollte mit dir nach Berlin kommen. Und du hast nichts Besseres zu tun, als es dir dort selbst zu besorgen, nach seinen Vor…“
    Er brachte den Satz nicht zu Ende. Lena schaute ihn jetzt total entgeistert an. Woher konnte er das wissen? Das hatte sie ihm nicht erzählt. Sie hatte nur erzählt, dass sie nach Berlin vom Taxi abgeholt wurde, um schließlich hier zu landen.
    ‚Er hatte das gewusst. Er hatte alles gewusst.‘
    Eine unglaubliche Wahrheit drängte sich in Lenas Bewusstsein.
    „Marcus, du hast alles von Anfang an gewusst. Du hast es geplant. Er war dein Werkzeug und ich dein Spielzeug.“
    Das war nicht mehr als Frage formuliert.
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