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Himmlische Juwelen

Himmlische Juwelen

Titel: Himmlische Juwelen
Autoren: Donna Leon
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oder den blutbefleckten Stoff mit einer
Ehrfurcht, vor der sogar die Cousins den Blick abwenden mussten.
    Als die Beutel und das Testament auf dem Tisch lagen, blieb Moretti,
die Hände links und rechts daneben aufgestützt, mit gesenktem Kopf davor
stehen. Da wandte Caterina sich ab und sagte zu Scapinelli: »Ich halte jede
weitere Debatte für überflüssig. Seine Wünsche sind eindeutig: Sie bekommen
jeder die Hälfte von dem, was in diesen Beuteln ist.«
    Scapinellis Augen blitzten argwöhnisch auf. »Sind diese Dinger nicht
immer mit Gold und Edelsteinen eingefasst? Wo ist das hingekommen?« Man konnte
fast meinen, er beschuldige Caterina des Diebstahls.
    »Signora Salvi war anwesend, als ich die Beutel entdeckt habe.«
    Roseanna nickte.
    »Kaum hatte ich den ersten Satz gelesen, habe ich in Signora Salvis
Gegenwart Dottor Moretti angerufen.« Und mit noch mehr Nachdruck: »Niemand hat
hier etwas gestohlen.«
    [296]  »Und wo sind das Gold und die Edelsteine dann geblieben?«
    »Ich bezweifle, dass es je welche gab«, sagte Caterina.
    »Die gehören dazu«, sagte Scapinelli mit der Hartnäckigkeit aller
Ignoranten.
    »Vielleicht wollte er kein Gold dazulegen. Oder Diamanten. Oder
Smaragde«, meinte Caterina.
    Stievani fragte dazwischen: »Was soll das heißen?«
    »Vielleicht wollte er seinen Cousins nur ein spirituelles Geschenk
hinterlassen.«
    »Und was hat er dann mit dem Geld gemacht?«, fauchte Scapinelli, als
glaubte er, sie wolle ihm das wissentlich verschweigen.
    »Das Geld hat er für die Reliquien ausgegeben«, sagte Caterina. »Die
waren sicher nicht billig.«
    Stievani zeigte fuchtelnd auf die Beutel. »Das sind doch bloß ein
paar alte Knochen und Lumpen.«
    Moretti stieß sich vom Tisch ab und ging einen Schritt auf Stievani
zu. »Sie Narr«, sagte er mit bebender Stimme. Er hob die Hände, ließ sie dann
aber langsam wieder sinken.
    Zu ihrer eigenen Überraschung musste Caterina lachen. »Narr«,
wiederholte sie kichernd.
    Moretti richtete den Blick auf sie, und sie fragte sich, wo Andrea
hingekommen war. »Er war gläubig«, sagte Moretti. »Er wusste, was dies wert
ist. Mehr als Gold. Mehr als Diamanten.«
    »Und wenn er nicht gläubig war?«, erwiderte Caterina. »Wenn das
nicht mehr für ihn war als ein paar Schweineknochen und schmutzige
Taschentücher? Besser konnte er [297]  das Blutgeld, das er bekommen hatte, doch
gar nicht wieder loswerden!« Den Cousins schien allmählich ein Licht
aufzugehen, aber so leicht sollten sie ihr nicht davonkommen. »Besser konnte er
es seinen Cousins, die ihm ihre Hilfe verweigert hatten, doch gar nicht
heimzahlen, als indem er ihnen etwas hinterließ, das wertlos ist, solange man
nicht daran glaubt.«
    »Aber er muss daran geglaubt haben«, sagte Moretti aufgebracht. »Er
muss geglaubt haben, dass dies die himmlischen Juwelen sind.« Er wandte sich
wieder dem Tisch zu und strich mit der Hand über den ersten Lederbeutel.
    Caterina, die sich einmal vorgestellt hatte, wie diese Hand eine
ganz andere Haut streichelte, erschauderte bei dem Anblick. »Vielleicht hat er
aber auch nicht geglaubt, Dottore. Sie sind doch ein kluger Mann, Sie können
das nicht einfach ausschließen. Vielleicht hat er gewusst, dass es wertloser
Plunder ist, und ihn gerade deswegen erstanden. Vielleicht war das für ihn die
Gelegenheit, es allen heimzuzahlen. Er lag im Sterben, das wusste er, also
konnte er auf das Geld verzichten. Und er konnte auch auf die Nachsicht
verzichten, die er sein Leben lang geübt hatte.« Sie hielt inne, schämte sich
schon für manche ihrer Worte und für den Impuls, der sie dazu angetrieben
hatte. Eins aber musste sie noch loswerden. »Sie haben Ihre Juwelen bekommen«,
sagte sie zu den Cousins. Und zu Moretti: »Und Sie Ihren Himmel.«
    Sie ging zu ihrer Tasche, klappte sie auf und nahm die Schlüssel
heraus. Alle. Legte sie auf den Tisch und wandte sich zur Tür.
    »Sie können nicht gehen«, sagte Scapinelli. »Ihre Arbeit ist noch
nicht beendet. Vielleicht finden Sie noch mehr.«
    [298]  »Aber ich arbeite Ihnen doch nicht fleißig genug, erinnern Sie
sich, Signor Scapinelli?« Sie sah ihm an, dass er verstanden hatte. »Suchen Sie
sich einen anderen!« Und weil sie Lust dazu hatte, riet sie ihm: »Fragen Sie
doch Ihren Sohn, ob der Ihnen hilft.«
    Sie schritt zur Tür, ohne sich noch einmal umzudrehen. Sie hörte
Roseannas Schritte hinter sich: klick, klick, klick, genau wie die
Schreibmaschine. Sie wartete im Flur. Dann gingen sie
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