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Himmlische Juwelen

Himmlische Juwelen

Titel: Himmlische Juwelen
Autoren: Donna Leon
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in
beiden Händen auf und legte ihn links außen auf den Tisch.
    Wieder an der Truhe, sah sie jetzt, dass die Unordnung sich fast bis
zum Boden fortsetzte. Mit der gleichen Technik wie zuvor bekam sie den nächsten
Packen zu fassen und legte ihn rechts neben den ersten. Als Roseanna zurückkam,
lagen schon fünf Packen auf dem Tisch; in der Truhe befanden sich nun noch zwei
kleine Stapel ordentlich verschnürter Päckchen.
    Roseanna schwenkte triumphierend den Zollstock. »Ich hab ihn«, rief
sie.
    Caterina lächelte anerkennend. »Nehmen wir noch die restlichen
Papiere heraus«, sagte sie, ging in die Knie und griff in die Truhe. Sie nahm
ein paar Päckchen und trug sie zu den anderen. Roseanna legte den Zollstock
hin, bückte sich über die Truhe und tat es Caterina nach; gemeinsam gingen sie
zur Truhe zurück und wiederholten das Ganze, bis sie vollständig leer war.
    Jetzt nahm Caterina den Zollstock und klappte die ersten drei
Glieder auf. Das reicht, dachte sie. Sie stellte den [281]  Zollstock auf den
Fußboden und fuhr mit dem Finger an den Zahlen entlang. »Neunundfünfzig
Zentimeter«, verkündete sie.
    Dann senkte sie den Stock in die leere Truhe, bis sie an den Boden
stieß. »Zweiundfünfzig.« Aus reiner Neugier maß sie auch noch nach, wie dick
die Truhenwände waren: anderthalb Zentimeter. Wenn der richtige und der falsche
Boden gleich stark waren, blieben immer noch vier Zentimeter Raum, in dem
Papiere oder andere Gegenstände versteckt sein konnten.
    »Was machen wir jetzt?«, fragte Roseanna.
    Statt zu antworten, beugte Caterina sich in die Truhe und tastete
mit einer Hand die Rille rund um den Boden ab. Alles fühlte sich glatt an.
»Hast du eine Taschenlampe?«, fragte sie Roseanna, die plötzlich neben ihr
kniete.
    »Nein«, sagte Roseanna und nahm ihr iPhone aus der Jackentasche.
»Aber das hier habe ich.« Sie tippte ein wenig darauf herum, und ein winziges
Lämpchen leuchtete auf. Sie hielt das iPhone in die Truhe und ließ den
Lichtstrahl über die untere Fuge gleiten. Als Caterina auch etwas sehen wollte,
stießen sie zusammen. Roseanna ließ das Handy fallen.
    Sie hob es auf und rutschte zur Seite, um Caterina Platz zu machen.
»Diesmal mach ich’s ganz langsam«, sagte Roseanna.
    Caterina nickte und fürchtete schon, sie müssten den Boden
aufbrechen, um den Raum darunter freizulegen. Sie strich noch einmal, und sehr
viel langsamer, an der Rille am Bodenbrett der Truhe entlang, schloss die Augen
und konzentrierte sich ganz auf ihre Fingerspitzen. Als sie alle vier [282]  Seiten
abgetastet hatte, schob sie die Hand ein klein wenig höher und wiederholte das
Ganze an den Seitenwänden unmittelbar über der Bodenfuge.
    Ein paar Zentimeter von der ersten Ecke entfernt fühlte sie etwas,
auch wenn sie keine Ahnung hatte, was das sein mochte. Über der Fuge gab es
eine minimale Vertiefung, wie eine kleine abgesprungene Stelle am Rand eines
Weinglases, aber so glatt, dass man es nicht bemerken würde, wenn man nicht
danach suchte. »Gib mir einen Bleistift«, sagte sie und behielt den Finger auf
der winzigen Vertiefung.
    Roseanna legte das Handy auf den Truhenboden, ging zu Caterinas
Schreibtisch und kam mit einem Bleistift zurück. Caterina nahm ihn mit der
linken Hand und machte ein kleines Zeichen auf den Boden unmittelbar unterhalb
der kleinen Kerbe. Dann strich sie mit dem Finger über die restlichen drei
Seiten, aber dort war das Holz glatt wie Samt.
    Jetzt nahm sie den Bleistift in die Rechte und setzte ihn oberhalb
der bezeichneten Stelle an. Die Bleistiftspitze drang wenige Millimeter tief
ein und blieb dann stecken: Entweder war die Spitze zu dick, oder sie war auf
Widerstand gestoßen.
    Caterina erhob sich, ging zu ihrer Tasche und entnahm ihr doch
tatsächlich ein Schweizer Messer.
    »Was hast du vor?«, fragte Roseanna schockiert.
    Ohne ihr zu antworten, ließ Caterina sich neben der Truhe nieder.
Sie betrachtete das Messer von beiden Seiten und klappte schließlich den
Korkenzieher heraus. »Vielleicht geht es damit«, sagte sie und langte wieder in
die Truhe.
    Roseanna nahm das Handy und richtete den Lichtstrahl auf die
Bleistiftmarkierung. Caterina tastete mit dem [283]  Korkenzieher nach dem Loch,
fand es und drückte die Spitze hinein. Sachte, sachte drehte sie das Messer
erst in die eine, dann in die andere Richtung, aber es tat sich nichts. Jetzt
konnte sie nur noch versuchen, ob sie die Bodenplatte mit der gekrümmten Spitze
zu fassen bekommen und womöglich aufstemmen
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