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Himmelssturz

Himmelssturz

Titel: Himmelssturz
Autoren: Alastair Reynolds
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darüber nachzudenken. In einer Stunde meldet ihr euch einzeln bei euren Abteilungsleitern. In neunzig Minuten werden sich die Abteilungsleiter bei mir melden. Auf der Basis ihrer Berichte werde ich dann die Entscheidung treffen.« Bella breitete die Hände aus. »Ich wünschte, ich könnte euch genauere Informationen geben. Aber ich kann es nicht, weil es keine gibt. Ich wünschte, ich könnte euch mehr Zeit geben, aber auch die haben wir nicht. Die Treibstoffvorräte lassen uns nur wenig Spielraum.« Bella warf erneut einen Blick zu Svetlana. Den Zeitpunkt ihrer letzten Bemerkung hatte sie mit gewohnter Sorgfalt gewählt. »Eine Stunde«, wiederholte sie. »Es tut mir leid, dass wir es nicht anders handhaben können.«
    Bella griff nach einem Nylonseil, das quer durch den Raum gespannt war, und hangelte sich daran zur Wand des Versammlungssaals. Dann wandte sie sich noch einmal den Leuten zu. »Ach ja, bevor ich es vergesse … schließlich weiß ich, dass einige von euch darauf brennen, es zu erfahren. Bei dem Elfmeterschießen hat Dynamo Kiew das Spiel gewonnen.«
     
    Irgendein Impuls ließ Ryan Axford auf dem Weg zum Bett seines Patienten innehalten. Er nahm seinen Flextop vom Schreibtisch und rief die aktuellste Tomografie von Jim Chisholms Schädel auf. Er strich mit einem Finger über das Falschfarbenbild und drehte es, damit die feinen dreidimensionalen Strukturen erkennbar wurden. Das Innere des Schädels seines Patienten war Axford inzwischen genauso gut vertraut wie die Architektur seines Hauses, das weit von hier entfernt an der Albemarle-Bucht lag. Er kannte alle Gänge und Nischen, den Dachboden und den Keller, die verborgenen Kammern, die Hohlräume, Risse und schadhaften Stellen. Er kannte alle geheimen Monster.
    Er hatte sich die Scans bereits mit sachlichem, klinischem Auge angesehen und wusste, dass ihm nichts entgangen war. Die Krankheit entwickelte sich genau nach Lehrbuch: diffuse Infiltration angrenzender und regionaler Strukturen des zentralen Nervensystems; Verdichtung, Durchdringung und Zerstörung benachbarter Zerebralparenchyme. Es war irrational, eine Änderung des Bildes zu erwarten, trotzdem verspürte er den Zwang, es ein weiteres Mal zu mustern, in der Hoffnung, dass ihm vielleicht doch ein Detail entgangen war, ein Hinweis auf eine Schrumpfung.
    Axford dimmte den Flextop und legte ihn behutsam auf den Schreibtisch zurück. Nichts hatte sich geändert. Nichts hätte sich verändern können.
    Er fing Gayle Simmons ab, die diensthabende Krankenschwester, als sie durch den Vorhang um Chisholms Bett trat. Sie hatte eine mit Blut gefüllte Spritze mit Schutzkappe in der einen und einen Beutel mit Salzlösung in der anderen Hand.
    »Wie geht es unserem Gast?«
    »Ganz gut«, sagte sie mit ihrem schleppenden Südstaatenakzent, dessen Betonung die Antwort wie eine Frage klingen ließ. Simmons war jung und ehrgeizig und von DeepShaft aus dem Northside Hospital in Atlanta geholt worden. Sie trug ihr langes schwarzes Haar offen und war bei den Männern recht beliebt.
    Axford hielt sie am Arm fest und senkte die Stimme. »Was meinst du zu dem, was Bella uns eben erzählt hat, Gayle?«
    »Ich mache alles mit, was für den Patienten das Beste ist.«
    Axford nickte und blickte ihr in die Augen, um nach einem Hinweis auf ihre wahren Gedanken zu suchen. Sie blinzelte und schaute weg.
    »Etwas in der Art habe ich auch gedacht«, sagte er.
    Chisholm hörte »Goodbye Pork Pie Hat« von Charles Mingus. Axford drehte die Lautstärke der Musik herunter, als er den abgeschirmten Bereich betrat. Chisholms Gesichtsausdruck war neutral, er hieß seinen Besucher weder willkommen noch wies er ihn ab. Er wusste, dass Axford sowohl die schlimmsten als auch die angenehmsten Nachrichten überbringen mochte.
    »Bella hat mit mir gesprochen«, sagte Axford. »Sie wollte sich vergewissern, dass du über alle Fakten informiert bist.«
    »Mit mir hat sie nicht gesprochen«, erwiderte Chisholm.
    Axford setzte sich neben das Bett. »Bella machte sich Sorgen, dass du dich gegen deine Überzeugung entscheiden könntest, wenn sie persönlich mit dir spricht.«
    Jim Chisholm sah blinzelnd zur Decke hinauf, als gäbe es dort etwas von Interesse. Das Licht im Raum war schwach, grünlich getönt und sollte beruhigend wirken. Rund um das Bett klickten, summten und piepten die Maschinen in einem endlosen, betäubenden Chor.
    Chisholm griff nach einem Wasserglas. »Hat Bella dich irgendetwas gefragt?«
    »Ja«, sagte Axford. »Sie
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