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Himmel ueber fremdem Land

Himmel ueber fremdem Land

Titel: Himmel ueber fremdem Land
Autoren: Elisabeth Buechle
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weisen wollte. »Sie benehmen sich jedenfalls schlecht genug für zwei ganze Portionen! Anscheinend sind Sie das schwarze Schaf der Familie!«
    Der Uniformierte löste die Hände aus dem Nacken und zuckte gleichgültig mit den breiten Schultern. »Um das zu bemerken hast du nicht lange gebraucht. Und da es dieses in jeder Familie zu geben scheint, frage ich mich, ob ich nicht gerade mit dem schwarzen Schaf der Familie van Campen spreche.«
    Demy rief sich mühsam zur Ruhe. Sie war 13 Jahre alt, jedoch hier als 16-Jährige eingeführt worden. Aber gleichgültig, welches Alter man als Maßstab nahm – sich auf diesen Gecken zu stürzen, um ihm einen gezielten Faustschlag zu verpassen, so wie sie es mit einem frechen Mitschüler gemacht hätte, kam einfach nicht infrage.
    Der junge Mann, der weiterhin nachlässig in seinem Sessel lümmelte, sah sie unverwandt an. Seine blauen Augen funkelten herausfordernd, und ein anmaßendes Lächeln umspielte seine Mundpartie.
    Bevor Demy ihm eine weitere gepfefferte Erwiderung entgegenschleudern konnte, klopfte es an der Tür.
    Henny trat ein und musterte Demy erstaunt, verlor jedoch kein Wort über ihre Anwesenheit. Vor sich balancierte sie ein silbernes Tablett, bestückt mit einem niedrigen Glas, in dem eine bernsteinfarbene Flüssigkeit schimmerte. Behutsam nahm sie das Glas vom Tablett und stellte es neben dem Soldaten ab. Der tat, als wolle er nach dem Glas greifen, strich dabei aber mit der Hand über Hennys Arm. Die Angestellte fuhr zusammen und zog sich überstürzt zurück.
    Demy nutzte die Situation, um endlich das zu tun, was sie überhaupt in den Raum gelockt hatte: Sie trat an die Verandatür, öffnete sie und ging in den Garten hinaus. Dessen hohe Hecken entlang der Grundstücksmauer, die blühenden Sträucher und Rosenrabatten empfand sie nach der Gesellschaft dieses unmöglichen Kerls noch einladender, als sie es ohnehin schon gewesen wären.

Kapitel 4
    St. Petersburg, Russland,
März 1908
    Anki van Campen hob ihren Rock an und rannte über die feuchten Pflastersteine, wobei sie immer wieder ängstlich über ihre Schulter zurückblickte. Ihr trotz der Kälte nicht geschlossener Mantel flatterte wild um ihre Beine. Im Licht der Straßenlaternen warf ihre Gestalt einen lang gezogenen Schatten auf die Straße und über die flache Mauer, hinter der die Mojka durch den Kanal sprudelte. Zu dieser späten Stunde glich die Farbe des Wassers schwarzer Tinte und sein Gurgeln klang unheilvoll. Um sie her ragten elegante Herrschaftshäuser und Paläste in den nächtlichen Himmel, doch die imposanten Gebäude hatten für Anki längst ihre Faszination verloren.
    St. Petersburg bestand zu einem großen Teil aus diesen prunkvollen Schmuckkästen – zumindest der Teil von St. Petersburg, in dem sie sich gewöhnlich aufhielt. Doch St. Petersburg war eine von Unruhen geschüttelte Stadt. Obwohl die Streiks und die Aufstände seit dem Blutigen Sonntag 2 im Januar 1905 nur noch vereinzelt aufflackerten und das daraufhin verfasste Zarenmanifest dem russischen Volk die Duma 3 gebracht hatte, schwelte der revolutionäre Gedanke der Gewerkschaften und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands nach wie vor im Untergrund. Ebenso allgegenwärtig blieben die Geheimpolizei und die Kosaken 4 .
    Anki wandte sich ein weiteres Mal um und blickte am Kanal entlang zurück. Es waren weder die im Untergrund agierenden Aufständischen noch die Justizorgane des Zaren, vor denen sie an diesem Abend durch die Straßen der Hauptstadt Russlands davonlief. Vielmehr verfolgten sie zwei durchdringende graublaue Augen, der Geruch eines ungewaschenen Körpers und die Stimme eines unheimlichen Heilers.
    Die junge Frau wusste im Grunde, dass ihr niemand folgte, konnte sich aber des Gefühls nicht erwehren, von feindlich gesinnten Blicken beobachtet zu werden.
    Während sie mit schnellen Schritten weiterhastete, lief die vergangene halbe Stunde noch einmal vor ihrem inneren Auge ab.
    Sie war mit Gräfin Ljudmila Sergejewna Zoraw unterwegs gewesen, die einem gewissen Grigori Jefimowitsch Rasputin ihre Aufwartung machen wollte. Nachdem sie einige Zeit vergeblich in der Kutsche auf ihre Freundin gewartet hatte, war ihr unangenehm kalt geworden. Schließlich war sie ausgestiegen, um sich durch Auf- und Abgehen warm zu halten.
    Irgendwann war die Tür aufgeschwungen, und Anki hatte die Luft angehalten, als sie in die mit Stuckornamenten und Säulen überfrachtete Eingangshalle blicken konnte. Lautes Gelächter
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