Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmel ueber fremdem Land

Himmel ueber fremdem Land

Titel: Himmel ueber fremdem Land
Autoren: Elisabeth Buechle
Vom Netzwerk:
in den Flur hinausführten, glitt über die weißen Möbel, das breite weiße Bett mit den hohen Bettpfosten und hinüber zu der verglasten Balkontür. Nichts geschah. Selbst Henny stand bewegungslos da und wartete ebenfalls.
    »Also«, begann Demy und zog die Nase kraus. »Wir können hier stehen, bis wir Wurzeln schlagen, oder Sie sagen mir, was Sie jetzt tun und vor allem, was ich tun sollte!«
    Ein erst unterdrücktes, dann offenes Lachen von Henny, welches sie jedoch sofort hinter ihren auf die Lippen gepressten Händen versteckte, ließ Demy erleichtert aufatmen. Zumindest steckte noch Leben in diesem Dienstmädchen!
    »Sie sagten, Sie wollen allein auspacken, Fräulein van Campen. Ich warte, bis Sie mir sagen, wobei ich Ihnen helfen darf.«
    Demy nickte langsam. Hennys Antwort machte ihr die für sie undurchschaubare Situation nicht leichter. Sie wollte am liebsten allein sein, sich alles ansehen, sich umziehen und ein wenig hinlegen – und später ihre Schwester fragen, was hier überhaupt von ihr verlangt wurde.
    Entschlossen streckte Demy sich und trat zu der Frau, um ihr zuzuraunen: »Dass jemand darauf wartet, dass ich ihm sage, was er tun soll, bin ich nicht gewohnt. Das habe ich höchstens mal bei meinem jüngeren Bruder Feddo probiert, allerdings nur mit mäßigem Erfolg.«
    Erneut kicherte Henny, bemühte sich aber gleich wieder um ein unbeteiligtes Gesicht. »Vielleicht möchten Sie ein wenig ruhen, Fräulein van Campen? Dann lasse ich Sie allein. Hier drüben, gleich neben dem Kamin, gibt es eine Klingelschnur, mit der Sie mich rufen können, sollten Sie meine Hilfe brauchen oder eine Frage haben.«
    Demy betrachtete die braune Kordel mit den aufgebauschten Fransen am Ende, die an der weinroten Tapete entlang verlief. »Das ist gut. Vielen Dank, Henny.«
    Als sei dies ein Zauberwort für die junge Frau, knickste sie und verschwand flink durch einen schmalen Türspalt in den Flur.
    Erleichtert atmete Demy auf, drehte sich um, öffnete die Balkontür und trat, eingehüllt von einem frischen Luftzug, hinaus. Warmer Sonnenschein begrüßte sie, als sie sich weit über die verschnörkelte weiße Steinbrüstung lehnte und hinunter auf den hübsch angelegten Park schaute. Rundum erhoben sich wuchtige Gebäude dem blauen Himmel entgegen, deren Bauweise den Reichtum der Eigentümer widerspiegelte. Froh um das Grün in der über zwei Millionen Einwohner zählenden Stadt, ließ Demy die Balkontür auf und warf sich mitsamt ihrer schwarzen Schnürstiefel, dem blauen, knöchellangen, schrecklich zerknitterten Reisekleid und dem bis zu den Knien reichenden Mantel auf die Matratzen ihres Bettes, das erbost über die rüde Behandlung knarrte.
    Ihre Muskeln waren allesamt angespannt, die Augen mit unruhigem Blick an die mit einem Stuckband verzierte Decke gerichtet.
    Allen ihren Protesten zum Trotz war sie also doch nach Berlin geschickt worden. Heimweh überfiel sie, schnürte ihr die Kehle zu und trieb ihr die Tränen in die Augen. Niemals zuvor hatte sie sich so einsam oder gar gedemütigt gefühlt. Selbstverständlich war sie nicht in einem Alter, in dem sie frei über ihr Leben bestimmen durfte, doch dass es plötzlich Tilla war, nicht ihr Vater, die sagte, wo es langging, verstörte sie zutiefst. Mit dem unbestimmten Gefühl, Opfer eines Geschehens geworden zu sein, dessen Hintergrund sich vollständig ihrer Kenntnis entzog, betrachtete sie übellaunig die Stuckverzierungen über sich.
    Niemand hatte sie erschöpfend darüber aufgeklärt, weshalb sie hier war, sie wusste nicht, welche Aufgaben in den Zuständigkeitsbereich einer Gesellschafterin fielen. Überhaupt fragte sie sich, ob die Stelle nicht ebenso ein Relikt aus vergangenen Tagen war, wie ein Diener, der Livree trug? Aber beides wurde offenbar in diesem Haus erwünscht! Allerdings änderte das nichts an der Tatsache, dass sie sich diese Aufgabe nicht ausgesucht hatte, ja sie nicht einmal hierherziehen wollte! Sie war schlichtweg zu diesem Schritt gezwungen worden!
    Vergeblich kämpfte sie gegen die ihr noch immer in die Augen drängenden Tränen an, wobei sie mit geballten Fäusten dalag und der hohen Decke zumurmelte: »Ich bin ein entwurzelter Baum.«
    ***
    Die jugendliche Neugier siegte schnell über Demys Gefühlschaos und so verließ sie eine halbe Stunde später, nach einem Blick auf die schlafende Schwester im Nebenzimmer, ihre Kammer.
    Während sie den Flur entlang zurück in Richtung Treppe schlich, betrachtete sie die gewaltigen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher