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Himmel ueber fremdem Land

Himmel ueber fremdem Land

Titel: Himmel ueber fremdem Land
Autoren: Elisabeth Buechle
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und der schrille Aufschrei einer Frau drangen auf die dunkle Straße hinaus und ließen sie noch mehr erschauern, als sie es in der frostigen Kälte der Nacht ohnehin schon tat. Ihre Freundin Ljudmila trat auf das feuchte Pflaster vor dem Palast. Sie hatte sich bei einem Mann untergehakt, an dessen anderem Arm Herzogin Jevgenia Ivanowna Bobow hing und ebenfalls um seine Aufmerksamkeit buhlte.
    Anki betrachtete den Mann zwischen den kichernden Frauen. Sein dunkles Haar stand ihm wirr um den Kopf, und er trug einen struppigen, bis zur Brust reichenden Bart. In seiner Bauerntunika und der weiten schmutzigen Hose wirkte er vor dem imposanten Gebäude und in Gesellschaft der beiden adeligen Damen vollkommen fehl am Platz.
    Es war das erste Mal, dass Anki Rasputin zu Gesicht bekam, wenngleich sie schon viel von ihm gehört hatte. Grigori Jefimowitsch Rasputin hatte sich innerhalb kürzester Zeit nach seinem Auftauchen in St. Petersburg in allen Gesellschaftsschichten als Mann Gottes und Heiler etabliert. Vor allem im Zarenpalast ging er ein und aus, wie es ihm gefiel. Es hieß, er habe den Zarewitsch mehrmals durch seine Gebete geheilt, wofür ihm Zariza Alexandra Fjodorowna verständlicherweise überaus dankbar war. Mit Alexej Nikolajewitsch war nach vier Mädchen und einer Scheinschwangerschaft endlich der lang ersehnte Thronfolger geboren worden, doch wie die Gerüchte besagten, litt er an einer unheilbaren und lebensbedrohlichen Erkrankung.
    Vor allem die Damen des Adels waren fasziniert und begeistert von dem Wunderheiler aus dem Gouvernement Tobolsk, so auch Ljudmila, eine der Hofdamen und Freundinnen der älteren Zarentöchter.
    Seit Beginn dieses Jahres war allerdings die Stimmung um den Mann gekippt. Die Gerüchte, er unterhalte sexuelle Beziehungen zu einigen seiner Bewunderinnen, eingeschlossen der Zariza, kursierten inzwischen nicht einmal mehr hinter vorgehaltener Hand. Viele bezeichneten ihn als einen unzivilisierten Bauern, und seit diesem Augenblick wusste Anki auch, weshalb.
    Eine Dame näherte sich dem fröhlichen Dreiergespann und Anki erkannte in ihr Anna Alexandrowna Wyrubowa, die Hofdame und gute Freundin der Zariza. Der Starez 5 besaß die Unverfrorenheit, die Vertraute Alexandra Fjodorownas zu ignorieren und weiterhin mit den jungen Damen herumzualbern. Die Hofdame zögerte einen Moment irritiert und wartete darauf, zumindest begrüßt zu werden, doch schließlich betrat sie unbeachtet das Haus der Bobows.
    Ljudmila raunte Rasputin etwas zu, worauf dieser sich von den beiden Frauen löste und zu Ankis Überraschung zu ihr kam. Seine durchringenden graublauen Augen hielten ihren Blick sofort gefangen, und obwohl sie die Ausdünstungen seines offenbar seit Tagen ungewaschenen Körpers beinahe betäubend einhüllten, rührte Anki sich nicht von der Stelle. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen.
    »Du bist also Ludatschkas kleine Freundin?« Rasputins Stimme klang rau und leicht verwaschen.
    Es ärgerte Anki, dass dieser Fremde Ljudmila bei ihrem Kosenamen nannte. Ob sie ihm diese Vertrautheit erlaubt hatte? Oder scherte sich dieser Mann weder um Herkunft noch um Höflichkeit?
    »Komm mit mir, Anki. Im Palast der Bobows gibt es einen Raum, in dem du dich aufwärmen kannst, und wir können uns ungestört unterhalten.«
    Bei der Vorstellung, mit diesem Mann allein zu sein, schüttelte sie entsetzt den Kopf. Sie war von Natur aus nicht besonders wagemutig und ging allem, was ihr fremd oder unheimlich war, aus dem Weg. Und in diese Kategorie gehörte unzweifelhaft auch dieser eigentümliche Starez, mit dem sie ganz sicher nirgendwo hingehen würde.
    »Nein? Ludatschka, hast du gesehen? Und du auch, Jevgenia? Sie weigert sich, meine Einladung anzunehmen. Was mag der Grund dafür sein?«
    »Komtess Ljudmila und ich fahren jetzt nach Hause, Grigori Jefimowitsch«, erwiderte Anki mühsam. Es gelang ihr, den Blickkontakt mit ihm zu brechen, woraufhin sie sich der Situation zumindest ein bisschen besser gewachsen fühlte.
    »Anki van Campen, du kommst jetzt mit. Du brauchst das Gespräch mit mir. Es wird dein Leben verändern, dein Leben retten!« Rasputin sprach fordernd, beinahe drohend, und Anki wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
    Eine eiskalte Hand schien nach ihrem Herzen zu greifen, wollte es umschließen und einfrieren, jegliche Wärme aus ihrem Leben ziehen.
    Mit einem flehentlichen Blick bat sie Ljudmila um Hilfe, doch die Freundin hatte nur Augen für Rasputin.
    »Danke, Grigori Jefimowitsch, aber
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