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Himmel ueber fremdem Land

Himmel ueber fremdem Land

Titel: Himmel ueber fremdem Land
Autoren: Elisabeth Buechle
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das ist nicht nötig …«
    »Nicht nötig?«, brauste er auf und kam ihr wieder so unangenehm nah.
    Sein aggressives Vorgehen, aber auch die Ausdünstungen, die sie erneut wie eine dunkle Wolke einhüllten, machten Anki ganz schwindelig.
    »Gott allein weiß, was nötig ist! Er gibt dir das Nötige, die Veränderung, die Rettung – durch mich!«
    Anki wollte sich abwenden und eilends zurück in die Kutsche steigen, die zu verlassen ihr nun als großer Fehler erschien. Doch aus irgendeinem Grund gelang es ihr nicht, sich von Rasputin abzuwenden.
    Eine nicht greifbare, eigentümliche Macht, anziehend und abstoßend zugleich, ging von diesem Mann aus und ließ sie verharren.
    »Komm, süße Anki. Ich werde dir den Weg in den Himmel zeigen«, lockte Rasputin nun gleichermaßen fordernd wie freundlich.
    Anki atmete tief durch, flehte Gott innerlich um Hilfe an und schaffte es immerhin, den Kopf zu schütteln. Daraufhin packte Rasputin sie an beiden Oberarmen. Angeekelt betrachtete sie die langen, teilweise eingerissenen und schmutzig-gelben Fingernägel des Mannes, der sie unbarmherzig in seinem Griff hielt. Wollte er sie zwingen, ihm zu folgen? Warum schritt niemand ein und half ihr?
    Ihre Knie drohten nachzugeben. Schweißtropfen rannen ihr über den Rücken und eine Welle der Übelkeit überkam sie. Wieder bat sie Gott um Hilfe. Denselben Gott, von dem diese bedrohliche Gestalt gesprochen hatte? Sie brachte diese Überlegung nicht zu Ende.
    In diesem Moment stieß Rasputin ein hämisches Lachen aus, in das Herzogin Jevgenia mit einem Kichern einfiel. Ljudmila hingegen blieb stumm. In ihrem Gesicht, von der flackernden Gaslampe unruhig beschienen, zeigten sich Verwirrung und Zweifel.
    Anki drehte sich zur Seite, um sich Rasputins Griff zu entwinden, und tatsächlich ließ er ihre Arme los – allerdings nur, um sie bei den Haaren zu packen und fest an sich zu drücken. Aus Verzweiflung, Wut und Angst schossen ihr die Tränen in die Augen. Dieser widerwärtige Mann ließ sie einfach nicht in Ruhe!
    Da hob Rasputin den Kopf, als wolle er den Nachthimmel über St. Petersburg bestaunen, und begann voller Inbrunst zu beten! Anki konnte den schnellen russischen Sätzen nicht folgen, doch der Wunsch, sich aus seinen Fängen zu befreien, wurde übermächtig. Sie stieß den Mann von sich, so fest sie konnte, ignorierte den Schmerz, als er ihr ein ganzes Haarbüschel ausriss und hastete zur Kutsche zurück.
    »Lassen Sie mich in Ruhe, Grigori Jefimowitsch. Ich habe nichts mit Ihnen zu schaffen. Und ich bezweifle, dass das, was Sie tun und sagen, tatsächlich nach Gottes Willen ist!«, schleuderte sie ihm mehr verzweifelt als mutig entgegen.
    »Du gotteslästerliches Weibsstück!«, brüllte er und trat zwischen sie und die Kutsche. »Gott, ich flehe dich an, vergib dieser Frau ihre Sünde. Lass sie erkennen, dass du mich geschickt hast, um sie zu befreien. Befreie sie von dem Dunklen, Grausamen, das ich für ihre Zukunft voraussehe.« Er krümmte sich wie unter Schmerzen zusammen, und sein Blick traf erneut den ihren.
    Anki konnte die Nähe dieses Mannes nicht einen Moment länger ertragen. Sie wirbelte herum und trat die Flucht an. Ihre Schuhe klackerten über das Pflaster, das Geräusch wurde von den Mauern und Hauswänden vielfach zurückgeworfen. Schließlich verschluckte die Dunkelheit den Platz mit der Kutsche und den dort stehenden Personen.
    ***
    Ob Rasputins ungepflegter, bedrohlicher Anblick und seine stechenden Augen sie ihr Leben lang verfolgen würden, ebenso wie die Worte des Mannes? Allein der Gedanke jagte Anki einen kalten Schauer über den Rücken und trieb sie weiter.
    Sie glitt auf einer Eisfläche aus, die sich, der Märzsonne zum Trotz, im Schatten der Mauer gehalten hatte. Mit einem erschrockenen Aufschrei versuchte sie das Gleichgewicht zu halten, was ihr jedoch nicht gelang. Sie stürzte, und ein scharfer Schmerz durchzuckte ihre Knie. Ihr Brustkorb hob und senkte sich heftig, ihr Atem ging keuchend von ihrem langen, schnellen Lauf.
    »Hör auf zu rennen«, sagte sie zu sich selbst, sah sich dabei aber schon wieder ängstlich um. »Es ist doch Unsinn zu glauben, er komme hinter dir her.« Trotzdem bat sie Gott leise um Schutz. Aber hatte nicht genau das auch Rasputin getan, nachdem er sie an sich gezogen hatte, sodass sie seinen ungewaschenen Körper und den ekelhaften Mundgeruch aus nächster Nähe hatte ertragen müssen?
    Laut von den Palastfassaden widerhallendes Klappern von Pferdehufen, begleitet
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