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Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)

Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)

Titel: Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)
Autoren: Gil Adamson
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starre ich in Nicks ebenmäßiges, faszinierendes, von Panik ergriffenes Gesicht.
    »Denkst du nie an mich?«, frage ich und gehe auf ihn zu.
    »Das bringt doch nichts …«
    »Antworte mir.«
    Mit offenem Mund glotzt Nick mich an. Ich komme immer näher, und er weicht nicht zurück. Er sieht aus, als rechne er Zahlen im Kopf zusammen.
    »Denkst du manchmal an mich?«, frage ich sanfter.
    »Ja«, gibt er errötend zu.
    »Und was denkst du?«
    »Na ja, nur …«
    Jetzt ist er in die Enge getrieben, windet sich im Schatten, und ich kriege gleich einen Infarkt, mein Herz spielt verrückt. Wir stehen beide da wie betäubt und warten.
    »Weißt du noch, wie wir beide im Lastwagen waren?«, frage ich. »Weißt du noch, was du da zu mir gesagt hast?«
    Er wirft einen verstohlenen Blick über meine Schulter auf das Licht, das von der Straße herüberscheint.
    »Ich vermisse dich manchmal«, murmelt er.
    »Da! Siehst du?«
    »Was denn?«
    »Du machst mich rasend. Ich kann dich dazu bringen, etwas zuzugeben, was gar nicht stimmt.«
    »Hör mal, ich weiß nicht …«
    »Ich wette, ich krieg dich wieder rum.«
    »Ich gehe jetzt«, kündigt er an, rührt sich aber nicht von der Stelle.
    »Klar, geh nur. Du wirst heute Abend nach Hause gehen und deiner Freundin nichts erzählen. Und du wirst dir wünschen, du hättest die Chance genutzt, mich noch einmal zu küssen – niemand sieht’s, niemand erfährt’s. Du wirst beim Frühstück sitzen und dir wünschen, du hättest es getan.«
    Das war für ihn das Stichwort, mich zu packen und zu küssen. Wir werfen beide einen Blick auf die Straße und schieben uns dann in den Schatten eines Lieferwagens, wo wir weiter gehen können und ziellos an Blusen und Gürteln zerren. Aus der Ferne dringen Stimmen zu uns, eine leise Warnung, die sich nähert und wieder entfernt.
    Nick tritt einen Schritt zurück und reibt sich über das Gesicht. »Können wir mal kurz warten«, sagt er, deutet auf seine Hose und ruckelt vorsichtig daran herum. »Ich brauche Zeit.«
    Er lehnt sich an den Lieferwagen und beobachtet mich, während ich meine Kleider in Ordnung bringe, mit einem distanzierten, beunruhigenden Blick. Und mir wird klar, dass nun mit Sicherheit zwei weitere Monate Psychose vor mir liegen. Ein Auto fährt vorbei, und als die Scheinwerfer Nicks Gesicht streifen, scheint er aufzuwachen.
    »Ich muss gehen«, sagt er.
    »Und ich muss vorher noch etwas erledigen.« Bevor ich weiß, was ich tue, knalle ich ihm eine, dass es schallt. Er reagiert mit einem unverstellt bösen und dennoch fast erfreuten Blick. Ich sehe ihm nach, wie er davongeht und mit brennender Wange, die Hände in den Hosentaschen, zurückkehrt in das Licht und den Lärm.
    Als ich heimkomme, sind im Haus schon alle Lichter aus bis auf das Backofenlicht, das mich gelb anglüht, als ich mir aus dem Kühlschrank ein Bier und aus dem Eisfach eine gefrorene Zigarette nehme. Ich sehe, wie sich die nächsten Monate vor mir ausdehnen wie ein kaltes, dunkles Meer, ohne dass ich daran etwas ändern könnte. Ich muss einfach warten, bis sich alles wieder legt.
    Unser Hund tappt herein und lässt sich schwer auf meine Füße plumpsen, so dass ich sie unter ihm hervorziehen muss. Ich habe keine Ahnung, warum er das macht. Er ist uns zugelaufen, nachdem meine Mutter fortgegangen ist. Ich habe nie erwartet, dass er bleiben würde, aber das lag vielleicht an meiner damaligen Gemütsverfassung. Er hat immer noch das Halsband mit dem Namen seines Besitzers um, der weggezogen sein muss oder zumindest seine Telefonnummer hat ändern lassen. Wir haben dem Tier gar nicht erst einen Namen gegeben, sondern nennen ihn einfach Hund, was ihn anscheinend nicht stört.
    Manchmal mache ich mir Sorgen, ich könnte, wenn ich Hund ausführe, seinem richtigen Besitzer begegnen. Eine Szene, die ich mir oft in allen Einzelheiten ausmale: Ein Mann eilt rufend über die Straße, der Hund zerrt bellend an der Leine. Auf eine überschwängliche Wiedervereinigung folgt ein verlegener Moment, der Hund ist verwirrt, wedelt mit dem Schwanz, gehört einen Augenblick lang niemandem. Dann lächelt der wahre Besitzer und streckt die Hand nach der Leine aus. Ich sehe mich den Hund zurückgeben und stelle mir vor, wie der Mann mir dankt.
    Wenn mir solche Gedanken kommen, steigt manchmal mitten im Spaziergang Panik in mir hoch. Dann kehre ich nach Hause um und zerre Hund an den Gerüchen vorbei, die ihn fesseln wollen, zerre ihn vorbei an Bäumen, Zäunen, Mülltonnen, Radkappen.
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