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High Heels und Gummistiefel

Titel: High Heels und Gummistiefel
Autoren: M Zagha
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die Hausnummern endeten bei 45. Es gab kein Haus mit der Adresse Cavendish Gardens 80. Wie konnte das sein? Isabelle griff in ihre Tasche, zog die Klarsichthülle hervor, in der sie ihre Reiseunterlagen aufbewahrte, und las abermals den Ausdruck von Daisys letzter E-Mail. »Geh immer weiter, bis du ein Haus mit einer gelben Tür siehst. Et voilà!«, schloss die Mail triumphierend. Isabelle war jetzt mit ihrem kleinen Rollkoffer im Schlepptau schon zweimal die Straße hinauf- und hinuntermarschiert und hatte Haustüren von fast jeder Farbe gesehen, außer Gelb. Obwohl sie der Jahreszeit entsprechend gekleidet war (dunkelblaue Jeans, ein eleganter Gürtel aus marineblauem Leder, gestärkte hellblaue Bluse und ein lose um die Schultern geknoteter grauer Pullover) wurde ihr allmählich heiß vor Ärger, und sie fühlte sich ein wenig verschwitzt.
    Mit gefurchter Stirn schürzte sie die Lippen. Was sollte sie tun? Sie hatte Daisys Anweisungen mit äußerster Sorgfalt befolgt. Doch rein gar nichts lief nach Plan – sehr zu ihrem Verdruss. London schien sich gegen sie verschworen zu haben. Seit ihrer Ankunft heute Morgen war sie endlos in der überfüllten und ihr völlig unvertrauten U-Bahn unterwegs gewesen und zweimal in die falsche Linie eingestiegen, weil Daisys Anweisungen nicht genau genug waren. Dann war sie vom Bahnhof aus meilenweit zu Fuß gegangen und immer mal wieder rechts oder links abgebogen, durch Straßen gewandert, die alle gleich aussahen und einander kreuzten wie in einem Labyrinth. Und immer noch keine gelbe Haustür. Um das Maß vollzumachen, funktionierte auch noch ihr Handy in diesem
sonderbaren Land nicht, also konnte sie nicht bei Daisys Mitbewohnern anrufen und nach dem Weg fragen. Dieser Jules sollte heute Vormittag zu Hause sein und auf Isabelle warten, um ihr einen Hausschlüssel zu geben.
    Isabelle schaute nach unten, wollte nach ihrem Koffer greifen und fuhr ein wenig zusammen. Eine weiße Katze stand vor ihren Füßen und schnupperte an der grob gerippten Schleife auf ihrem marineblauen Schuh. Als sie sah, wie die Katze plötzlich kehrtmachte und um die Ecke stolzierte, folgte Isabelle ihr instinktiv ein paar Schritte. Wie hieß diese Straße? Ein Straßenschild war nicht vorhanden, und auch der Stadtplan half ihr nicht wirklich weiter. An der Stelle, wo sie sich im Augenblick anscheinend befand, war nur ein Gewirr aus einander überlappenden Namen in winzigen Lettern zu erkennen. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, einen so kleinen Straßenplan zu kaufen, doch Isabelle hatte gern alles ordentlich und kompakt. Sie ging noch ein Stückchen weiter und folgte dabei der Katze, die immer wieder anhielt und dann weitertrottete. Nachdem die Hausnummern bei 121 angefangen hatten, wurden sie jetzt kleiner. Schließlich blieb die Katze vor einem Haus stehen, und als Isabelle sie einholte, sah sie die Zahl 80, die über einer gelben Haustür stand. Die Tür stand einen Spalt weit offen.
    Konnte dies das richtige Haus sein? Sachte drückte Isabelle auf die Klingel. Nichts geschah. Die Katze hatte dicht vor der Türöffnung Position bezogen. Gerade als Isabelle beschloss, abermals zu klingeln, wurde die Tür weit aufgerissen. Eine junge Frau in ihrem Alter, die eine große Brille mit dunklem Gestell trug, stand auf der Schwelle. Bekleidet war sie mit kurzen schwarzen Hosen, einem schwarzen T-Shirt, auf dem in grellroten Lettern »Rampage!« über einem Piraten-Totenschädel stand, sowie mit schweren Motorradstiefeln. Ihr schwarzes Haar war zu einem Prinz-Eisenherz-Bob
mit langem Pony geschnitten, und ihr Gesicht war auffallend blass. Sie kam Isabelle ungeheuer groß vor.
    »Verzeihung.« Isabelle errötete ein wenig. »Ich, heu, enfin ...« Nein, es schien nicht ein einziges englisches Wort kommen zu wollen. L ’horreur t otale! Ihr Kopf war vollkommen leer. Sie hatte ja gewusst, dass sie einen Auffrischungskurs hätte machen sollen, bevor sie hierherkam.
    »Ich sehe, du hast Raven gefunden. Prima«, sagte die junge Frau, ohne zu lächeln. Sie hob die weiße Katze hoch, dann stand sie mit dem Tier im Arm da und sah Isabelle an, die ein wenig von ihrer Fassung zurückgewonnen hatte.
    »Können Sie mir sagen, ob das hier das Haus von Daisy Keen ist?«
    »Na ja, kommt ganz drauf an.«
    Isabelle starrte sie an. Die Engländer waren seltsame Leute. Sie zog Daisys E-Mail hervor und zeigte auf die Adresse, die darin angegeben war.
    Ihr Gegenüber schob die Brille zur Nasenspitze herunter und las, dann
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