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High - Genial unterwegs an Berg und Fels

High - Genial unterwegs an Berg und Fels

Titel: High - Genial unterwegs an Berg und Fels
Autoren: David Lama
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Wir haben zwar nicht sonderlich viel geschlafen, aber ich fühle mich recht gut. Wir geben Gas. Wir müssen früh bei der Bolt-Traverse sein. Dort beginnt das erleuchtende Klettern, aber auch die richtige Gefahr. Denn wenn Charlys gutes Wetter kommt, beginnt zwangsläufig auch der Eisschlag.
    Der Cerro Torre ist ein alpinistischer Mythos. Als eine französische Seilschaft 1952 die Erstbesteigung des Fitz Roy schaffte, berichtete sie, dass der in Sichtweite aufragende Cerro Torre »ein unmöglicher Berg« sei. Die Italiener Walter Bonatti und Carlo Mauri bezweifelten das und erreichten 1958 über die Westwand des Torre eine beachtliche Höhe. Sie schafften es aber nicht in die eigentliche Gipfelregion – den Turm aus Eis.
    Im Jahr darauf, 1959, starteten der Italiener Cesare Maestri und der Osttiroler Toni Egger jenen Versuch, über den die Kletterwelt bis heute diskutiert. Maestri und Egger stiegen über Ost- und Nordwand auf und schaff ten es angeblich bis zum Gipfel. Beweise dafür gibt es kei ne. Egger, in dessen Rucksack sich der Fotoapparat mit dem Gipfelfoto befunden haben soll, wurde beim Abstieg von einer Eislawine erfasst und in die Tiefe gerissen – mit ihm verschwand auch der Beweis für die Erstbesteigung. Maestri behauptete konsequent, oben gewesen zu sein, aber die Zweifel wuchsen, und 1970 waren sie so laut geworden, dass Maestri keinen anderen Ausweg mehr sah, als die Besteigung zu wiederholen – er kündigte an, den Torre auf einem neuen Weg bezwingen zu wollen.
    Diesmal unternahm Maestri den Aufstieg über die Südostkante, aber das Wetter war so katastrophal, dass er abbrechen musste. Wenige Monate später kehrte er zurück. Mit einem massiven Kompressor und etwa 300 Bohrhaken arbeitete er sich Meter für Meter hinauf. Diesmal erreichte er mit zwei Kollegen das Ende der Felswand unterhalb des Gipfels, verzichtete aber darauf, den »Gipfelschneepilz«, wie er ihn nannte, zu besteigen – der werde ohnehin, so Maestri, »eines Tages weggeblasen«.
    Maestri feierte den Gipfelsieg und verließ Patagonien. Sein Kompressor blieb in der Wand, er hängt bis heute eine Seillänge unter dem Eispilz. Aber die Diskussionen, ob der Cerro Torre als bestiegen gelten durfte, waren damit nicht zu Ende. Sicher ist, dass Maestris Route als »Kompressorroute« ins alpinistische Vokabular eingegangen ist.
    Als unzweifelhafte Erstbesteigung wird unterdessen die erstaunliche Geschichte der Seilschaft von Casimiro Ferrari geführt, die 1974 drei Wochen in einem Zelt hoch oben in der Wand auf besseres Wetter warten musste und erst kurz bevor die Essensreserven knapp wurden, den Gipfel doch noch schaffte – inklusive Beweisfoto. Seither ist es nur handverlesenen Bergsteigern gelungen, neue Routen auf den Gipfel des Cerro Torre zu machen. Was wir vorhaben, hat jedoch noch keiner geschafft: die Kompressorroute von Maestri frei zu klettern.
    Mitte November kamen wir in Patagonien an. Als wir den Flughafen hinter uns gelassen hatten, war da nichts als Gras und eine erstaunliche, verwirrende Weite. Kein Berg. Wo sollten wir hier klettern? Die einzige Straße führte in der einen Richtung nach El Calafate, in der anderen nach El Chaltén. El Chaltén war unser Ziel. Wir stiegen in den Bus, der auf uns gewartet hatte.
    Entlang der Straße standen Zäune, damit die Guanakos nicht auf die Straße laufen. Diese südamerikanischen Kamele sind nicht besonders schlau. Sie versuchen über die Zäune zu hüpfen, bleiben hängen und verenden. Das bemerkst du schon von Weitem: Wo die Kondore tief kreisen, hängen Guanakos im Zaun.
    In El Chaltén leben vielleicht tausend Menschen. Vor ein paar Jahren waren es angeblich nicht mehr als hundert. Inzwischen hat der Tourismus angezogen, es kommen Trekking-Freunde und Bergwanderer, und für die ist El Chaltén der letzte Vorposten der Zivilisation. Hier können sie wohnen, essen, schlafen und Bier trinken.
    Wir mieteten uns in einem kleinen Zimmer ein, bei Eduardo. Daniel konnte vom Bett aus den Himmel sehen. Ich sah von meinem Bett aus Daniel und seine Ausrüstung, die über dem Bett an der Wand hing. Das Zimmer, gemütlich. Im Haus nebenan ein zehn Quadratmeter großer Megastore, der täglich bis zwei Uhr früh offen hatte.
    Keine Ahnung, wie die Geschäfte überleben. Ich habe nie Kunden gesehen, nur Mitarbeiter. Der einzige Laden, der gut geht, ist die Cervecería. Ein paar Holztische unter einem offenen Dachstuhl und ein sehr leichtes Bier, das sie selbst brauen. Aber das tranken wir so
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