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High - Genial unterwegs an Berg und Fels

High - Genial unterwegs an Berg und Fels

Titel: High - Genial unterwegs an Berg und Fels
Autoren: David Lama
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vor dem Einschlafen immer noch mein iPhone. Ich rief den Kalender auf und schaute, was für morgen auf dem Programm stand – als würde dort überraschend ein Treffen mit meinem Manager Peter stehen oder eine Trainingseinheit in der Kletterhalle Tivoli. Mein europäisches Pflichtbewusstsein ließ sich nicht so einfach abstellen. Oder, besser gesagt, es brauchte Zeit, bis es sich ganz gemächlich selbst abschaltete. In Argentinien braucht alles seine Zeit.
    Wir lernten zu warten. Warten, warten, warten. Warten, dass das Wetter besser wird, warten, dass der Wind nicht mehr so stark bläst, warten, dass Charly von der Wetterwarte einmal etwas anderes meldet als »keine Chance, Burschen«.
    Wir lernten die Gegend besser kennen. Wir wanderten in Richtung Cerro Torre, weil wir wandern wollten, und nicht, um einen weiteren Kletterversuch zu starten. Wir entdeckten beim Aufstieg zum Bridwell Camp den alten Weg, der nach einem Waldbrand gesperrt war, und folgten ihm durch ein Labyrinth weißer Stämme mit schwarzen Schmauchspuren, die elegant und unwirklich aussahen. Wir kamen durch Senken, in denen weißer Granitsand lag wie in japanischen Gärten, und wir ließen uns manchmal durch die Schönheiten des Waldes treiben, wie man sie in den Alpen nie und nimmer zu Gesicht bekommt.
    Nach dem ersten Aufstieg von El Chaltén zum Bridwell Camp, der noch drei Stunden gedauert hatte, meisterten wir die Strecke beim dritten Versuch mit dem 15-Kilo-Rucksack schon in einer Stunde vierzig, und weil die Strecke irgendwann fad zu werden drohte, absolvierte ich sie nur noch mit strenger Zeitkontrolle: Mein Rekord mit dem Fünf-Kilo-Rucksack belief sich ein paar Wochen später auf eine Stunde nullzwei, aber dafür musste ich tatsächlich rennen wie ein Marathonläufer.
    Richtig anstrengend wird der Weg erst nach dem Nipo Nino. Der Weg zur »Schulter«, dem Ausgangspunkt fürs Klettern, dauert sechs Stunden. Zuerst eineinhalb Stunden durch echt beschissenes Gelände. Eine Geröllhalde, wo du einen Schritt vorwärts gehst und einen halben Schritt zurückrutschst. Ziemlich steil. Am Ende der Halde kommst du zum Norweger-Biwak. Von hier ist es nicht mehr weit bis »Media Luna«. Media Luna ist ein schöner Name für ein imposantes Schneefeld, das sich wie ein Halbmond um die gleichnamige Felswand krümmt. Es ist etwa 50 Grad steil und 400 Meter lang. Media Luna ist gewaltig. Man fühlt sich sehr klein hier.
    Du musst sehr zeitig losgehen, damit der Schnee von Media Luna noch hart ist. Sonst sinkst du bis zu den Knien ein, und wenn es davor frisch geschneit hat, noch tiefer. Das Gehen wird dann ziemlich anstrengend.
    Hinter Media Luna geht es über den Gletscher unter die Ostwand des Torre. Ein Schneefeld, vielleicht 120 Meter lang, 50 Grad steil, ein kurzes kombiniertes Stück, ein weiteres Schneefeld, dann stehst du auf der Schulter. Wir deponierten ein kleines Zelt und Ausrüstung im Berg schrund an der Basis der Granitwand, die hier senk recht in den Himmel wächst. An dieser Stelle beginnt die eigentliche Kletterei.
    Während der ersten drei Wochen war an etwa sieben einzelnen Tagen geniales Wetter. Wir stiegen dreimal ein, um den Berg kennenzulernen und alles für den großen Tag vorzubereiten. Wir hatten einen Fotografen und mehrere Kameraleute im Team, weil Red Bull (mein Sponsor) die Expedition aufwendig dokumentieren wollte. Die Bergführer des Kamerateams, Markus Pucher aus Kärnten und Peter Ortner aus Lienz, mussten Fixseile spannen, damit die Filmleute bis zur Bolt-Traverse mit aufsteigen konnten.
    Beim ersten Versuch blieben wir drei Tage auf der Schulter und kletterten zweimal. Ein hoher Himmel, dass es dir das Herz zusammendrückt, und der Berg, der so gigantisch ist, so viel größer, als du dir einen Berg bisher vorgestellt hast. In den Alpen wäre allein die Tour vom Nipo Nino bis zur Schulter eine eigene Tour. Hier beginnt die Tour erst, wo sie in den Alpen längst zu Ende wäre.
    Das Wetter war herrlich, als ich einstieg, Sonne, blauer Himmel, aber dann begann es plötzlich zu pfeifen und zu donnern. Aus den »Iced Towers«, die auf den Cerro Torre hinaufwachsen, brachen riesige Trümmer ab und zischten senkrecht hinunter. Ich dachte, das muss sich Clint Eastwood ausgedacht haben. Granaten aus Schnee. Bomben aus Eis.
    Ich glaube, wir hätten an diesem Tag den Gipfel schaffen können. Aber genauso gut hätte uns an diesem Tag das Eis erwischen können. Wir waren relativ spät dran, weil wir auf die Kameraleute hatten warten
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