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High - Genial unterwegs an Berg und Fels

High - Genial unterwegs an Berg und Fels

Titel: High - Genial unterwegs an Berg und Fels
Autoren: David Lama
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zuvor waren wir, eine Gruppe von Freunden, auf Expedition in Cochamó gewesen – geniales Klettern. Wände ohne Ende, und viele davon noch unberührt. Jede Menge Abenteuer. Irgendwann sagte der Ötztaler Hansjörg Auer: »Der Cerro Torre, das wär doch was für dich, oder, Fuzzy? Der Berg, der kann schon was.«
    Hansjörg hatte den Cerro Torre vor ein paar Jahren schon einmal über die Kompressorroute gemacht. Er steckte mich mit seiner Begeisterung sofort an. Ich selbst kannte den Cerro Torre nur von Fotos, hatte ein paar Geschichten gehört und den einen oder anderen Clip auf YouTube gesehen. Aber der Gedanke wuchs. Er keimte. Ich konnte das Abenteuer riechen, wenn ich nur die Augen zumachte.
    Als ich zurück in Österreich war, fragte ich Daniel bei einer Skitour: »Bist dabei?«
    Daniel Steuerer, ein alter Kumpel aus Innsbruck, hatte wie üblich kein Geld, aber dafür hatte er Zeit, und er meinte: »Klar bin ich dabei, wenn du mir ein Flugticket besorgst.«
    Wir kauften uns Bücher über den Torre. Daniel las jedes einzelne, er fraß sie geradezu in sich hinein. Ich ging die Sache langsamer an. Ich las Kapitel für Kapitel, wollte nicht zu schnell fertig sein. Und ich war froh, dass Daniel so abfuhr auf das Projekt: Er war der einzige meiner Kollegen, mit dem ich mir vorstellen konnte, mehrere Monate auf engstem Raum zu verbringen. Es waren schließlich nicht nur die alpinistischen Herausforderungen, die wir teilen mussten, es geht auch darum, eine gute Zeit zu haben.
    Daniel ist 22, blond, und die Haare hängen ihm immer in die Augen. Er ist zu faul, sich zu rasieren, deshalb wächst ihm am Kinn ein braunblonder Wuschel. So wie er aussieht, käme niemand auf die Idee, dass er Alpinist ist, aber Daniel hat jede Menge Energie. Sobald er gewisse Dinge angefangen hat, treibt ihn sein Ehrgeiz dazu, sie auch fertig zu machen. Darin sind wir uns sehr ähnlich. Er ist ein Beißer, und das ist gut: Wenn er mit mir unterwegs ist, muss er nämlich immer beißen – die Zähne zusammenbeißen!
    Daniel war viele Jahre mein Trainingspartner in der Halle gewesen, als wir gemeinsam an Jugendwettkämpfen teilnahmen. Er war einer meiner stärksten Konkurrenten, bis ihn eine Verletzung am Ellbogen dazu zwang, mit dem Spitzensport aufzuhören. Die Liebe zum Klettern verlor Daniel freilich nie. Er war es, der mich für das Alpine begeisterte. Wir machten Touren in den Alpen, wir reisten gemeinsam ins Yosemite Valley und hatten viel Spaß. Und während ich auf Wettkämpfen unterwegs war, lag Daniel in der Hängematte und las Siddharta .
    Nachts um eins steigen wir in die Tour ein. Die erste Seillänge: ein schöner, gerader Riss. Was normalerweise ein Spaziergang ist, schmeckt mir heute nicht besonders. In den Rissen klebt Schnee. Der Fels ist vereist. Die Bedingungen sind alles andere als gut.
    Wir wollen in der Nacht so weit hinauf, wie es nur irgendwie geht. Bei unseren ersten zwei Versuchen hat uns der Eisschlag gezwungen umzudrehen, aber dieses Mal wollen wir dieser Gefahr einen Schritt voraus sein. Wenn das Wetterfenster kommt, müssen wir in der Poleposition sein. Das Risiko, bei diesen Verhältnissen zu klettern, wird bereits am späten Vormittag unvertretbar hoch. Der Fels erwärmt sich durch die starke Sonneneinstrahlung extrem schnell, das Eis am Fels beginnt abzuschmelzen. Immer größere Eisbrocken lösen sich, und das ist dann echt ungemütlich.
    Ich steige voraus. Daniel ist zwar ein guter Kletterer, aber in diesem Gelände bewege ich mich sicherer – und vor allem schneller. Das ist wichtig, denn wir haben keine Zeit zu verschenken. Aber bei diesen Bedingungen fühle auch ich mich nicht richtig wohl. Der Wind. Der Wind ist so stark, dass an freies Klettern nicht zu denken ist.
    Wir sagen nichts außer den nötigen Seilkommandos: »Stand« – »Seil aus« – »Kannst kommen«. Wenn ich beim Stand ankomme und Daniel nachsichere, sehe ich in der blauen Dunkelheit nur ein Licht, das schnell näherkommt. Es hat keinen Sinn, mehr zu sagen. Der Wind schluckt jedes Wort und trägt es fort.
    Es ist mitten in der Nacht. Es ist stockdunkel, saukalt, und es stürmt, dass jeder Reihenhausbesitzer Angst um sein Dach kriegen würde. Aber wir sind guter Laune. Wenn alles klappt, klettern wir jetzt bis zur Bolt-Traverse, und dann kommt das Wetterfenster, Charly steht dafür gerade.
    In der dritten Länge folge ich einem Riss im Granit. Der Riss ist ein Hund. Ich kann lange keine Sicherung legen, aber ich denke nicht darüber nach.
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