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High - Genial unterwegs an Berg und Fels

High - Genial unterwegs an Berg und Fels

Titel: High - Genial unterwegs an Berg und Fels
Autoren: David Lama
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seinen Kindern. Er war mit seinem Kollegen Elio Orlandi am Torre gewesen, um die Asche ihres Freundes Cesarino Fava, Mitglied der legendären Maestri-Expedition von 1970, auf den Gipfel zu verstreuen.
    Fabio Giacomellis Tod schockierte uns für einen Moment. Er schockierte uns, weil er in Erinnerung rief, was wir selbstverständlich wussten. Was jeder Alpinist weiß, sobald er ausgesetzte Touren geht: dass es auch schlimm ausgehen kann. Wer hier unterwegs ist, geht das Risiko ein, nicht mehr zurückzukommen. Wir wissen das, und Fabio wusste es auch, und ich weiß, dass es hart klingt und vielleicht das Verständnis von Menschen, die nie auf dem Berg waren, überfordert, aber man muss lernen, mit diesem Risiko zu leben. Jeder von uns weiß um die Gefahren des Kletterns, und jeder von uns lässt sich auf diese Gefahren ein. Denn das Erlebnis, das wir nur bekommen, wenn wir das Risiko eingehen, ist dieses Risiko wert.
    Zwei Uhr zehn, der Wind wird stärker. Ich muss mich unwürdig den »Banana Crack« hinaufarbeiten – einen Friend in den Riss einhängen, mich hochziehen. Unwürdig, weil der Riss perfekt frei zu klettern wäre, wenn. Ja, wenn …
    Mit Klettern, wie ich Klettern verstehe, hat das nichts zu tun. Aber manchmal heißt Klettern auch nur Hinaufkommen, und ich will hinauf, um die Gelegenheit nicht zu verpassen. Wenn, sobald es hell wird, das schöne Wetter da ist, haben wir die Chance, den Berg zu packen, bevor es zu warm wird und das Eisbombardement beginnt.
    Die neunte Länge, ein mächtiger Pfeiler. Die zehnte, eine senkrechte Wand, an deren Oberfläche flache Felsschuppen picken, die alle in dieselbe Richtung zeigen. Wie eine überdimensionale Fischhaut aus Granit. Ich halte mich an den Schuppen, die Füße drücken gegen die Wand hinter der Schuppe, ohne einen richtigen Vorsprung zu finden. Nur die Reibung der Sohlen hält mich am Fels. Der Wind weht Schnee in den Kragen meiner Jacke. Jeder noch so kleine Vorsprung ist längst schneebedeckt und saurutschig. Vielleicht, denke ich mir, setzt du doch einen Friend, aber wo? Ich taste mit der rechten Hand nach einer geeigneten Spalte und drücke auf gut Glück den Friend hinein.
    Als ich nach der nächsten Schuppe greife, rutscht der Fuß weg.
    Keine Chance.
    Ich falle.
    Es ist halb drei Uhr nachts, Patagonien, Sturm, Kälte, Dunkelheit, und ich falle, und während ich falle, denke ich nicht, ob es jetzt aus ist. Ich denke nur daran, ob der Friend, diese Klemmsicherung, meine einzige Zwischensicherung bis zum Stand, halten wird oder nicht und ob es mich jetzt in den Spalt zwischen dem Felspfeiler und der Wand hinunterwixt, und während ich mir den Riss vorstelle, den ich nur mit den Fingern gesehen habe, in dem der Friend, den ich jetzt brauche, sitzt, hänge ich schon im Seil, und ich weiß, dass er gehalten hat und dass es weitergeht, und der Schrei, den ich gehört habe, ist jetzt auch verstummt.
    Der Schrei, das war ich.
    »Was ist?«, ruft Daniel von unten.
    »Volle ausgerutscht«, schreie ich zurück.
    »Alles okay?«, ruft Daniel, und ich höre, wie gestresst er ist.
    »Passt schon«, antworte ich. »Ich zieh mich gleich rauf.«
    Jetzt merke ich, wie schnell mein Puls geht. Ich merke auch, dass mir der Fuß wehtut, weil ich ein bisschen reingelandet bin und mich angehaut habe. Egal. Ich beruhige mich schnell wieder, ziehe mich hoch und klettere weiter, wo ich ausgerutscht bin. Aber ich fühle mich auf der ganzen Länge unsicher. Der Sturz wirkt in meinem Kopf wie ein starker Schnaps.
    Im Hirn pocht die Frage: Was passiert, wenn’s mich haut?
    Ich ziehe mich an der nächsten Schuppe hoch. Was passiert, wenn’s mich haut?
    Ich weiß, dass es gut ist, wenn man sich am Fels nicht zu sicher fühlt, aber das ist gerade nicht mein Problem. Die Selbstverständlichkeit ist angeknackst.
    Okay, sage ich zu mir, auch ich kann fliegen.
    Beim Stand zehn treffen wir Markus. Er ist über die Fixseile rauf, die für die Kameraleute gelegt wurden. Den Sturz hat er gar nicht mitgekriegt. Wir ziehen die Steigeisen an und gehen über ein Fünfzig-Grad-Schneefeld zu Stand elf. Über kombiniertes Gelände klettern wir zu Stand zwölf. Von hier führt die Bolt-Traverse Richtung Iced Towers, und über die geht es hinauf zur Head Wall. Darauf sitzt der Eispilz. Der Gipfel.
    Es ist vier Uhr früh. Wir sind bereit, in die BoltTraverse einzusteigen.
    Wo ist das Schönwetterfenster?
    Fragen wir doch Charly. Weil wir irgendwie geahnt haben, dass die Frage auftauchen könnte, haben
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