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High - Genial unterwegs an Berg und Fels

High - Genial unterwegs an Berg und Fels

Titel: High - Genial unterwegs an Berg und Fels
Autoren: David Lama
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dreinreden. Im Dezember 1988 war Hochzeit. Dann zogen die beiden in die Dienstwohnung meiner Mutter im Schwesternheim – mit Ausnahmegenehmigung. Die organisierte sie nämlich auch noch.
    Das Wort »Papa« existierte für mich nicht. Für mich war mein Vater immer Rinzi. Rinzi kommt aus Phaplu, einem Bauernhof in der Everest-Region, auf etwa 2700 Meter Höhe. Um nach Phaplu zu kommen, fährt man von Kathmandu einen Tag mit dem Bus, dann geht man drei Tage zu Fuß. Für Rinzi war das natürlich umgekehrt: Um nach Kathmandu zu kommen, musste er zuerst drei Tage zu Fuß gehen und dann in den Bus einsteigen.
    Aber in Wahrheit war der Weg noch viel weiter.
    Rinzi war der einzige aus der großen Bauernfamilie, der zur Schule gehen durfte. Die anderen fünf Geschwister waren daheim, mussten auf dem Bauernhof arbeiten. Keine Schule. Keine Ausbildung, weil kein Geld dafür da war.
    Rinzi durfte zur Schule gehen, weil ihn sein Onkel mitgenommen hatte, als Sir Edmund Hillary die Schule von Junbesi besuchte. Hillary, der Mann, der 1953 den Everest erstbestiegen hatte, kam Jahr für Jahr nach Nepal, um Kindern von Sherpas eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Rinzi stellte sich beim Test geschickt an. Er begriff schnell und er war fleißig. Er bekam ein Stipendium von Hillary und nützte diese Chance. Er absolvierte die Volksschule, ging aufs College und machte nach vierzehn Jahren Schule den Abschluss. Sein älterer Bruder besuchte nur fünf Jahre eine Schule, dann ging sich das finanziell nicht mehr aus.
    Der Schulweg dauerte drei Stunden. Rinzi ging um sieben Uhr früh zu Hause weg, um zehn begann der Unterricht, um vier war Schulschluss, und um sieben Uhr abends war er wieder zu Hause. Kein Wunder, dass er gut zu Fuß war.
    Meine Mutter hat mir oft die Geschichte erzählt, als sie zum ersten Mal nach Phaplu kam. Es war im Jahr vor meiner Geburt. Einer von Rinzis Brüdern hatte angerufen, dass der Vater schwer krank sei. Also flogen meine Eltern nach Nepal, meine Mutter wollte Rinzis Vater unbedingt noch kennenlernen.
    Innsbruck – Frankfurt – Kathmandu, ein Tag im Bus, drei Tage zu Fuß.
    Das Haus stand allein in einer Streusiedlung, die nächsten Häuser waren mindestens zehn Minuten entfernt. Es war in schlechtem Zustand. Nur zwei Kühe standen im Stall. Der Wohnraum lag direkt darüber, man musste über eine Stiege durch den Stall hinaufsteigen. Der Raum war riesengroß und dunkel. Er hatte nur kleine Fenster, die mit Plastikfolien abgedichtet waren. Von außen kam nur wenig Licht herein. Das Erste, was man sah, waren der buddhistische Altar und eine große Buddha-Statue, die in der Mitte des Raums standen. Links und rechts davon Holzbänke mit kleinen Tischen und ein einziges Bettgestell. Dort lag auf einer dünnen Matratze ein Mann, der nur noch aus Haut und Knochen bestand und sich mit jedem Atemzug abmühte. Das war mein Großvater. Er war 64 Jahre alt, und er bekam kaum noch Luft.
    Mein Großvater war ein buddhistischer Mönch gewesen, ein Lama. Daher unser Familienname. 15 Jahre hatte er in einem tibetischen Kloster als Mönch gelebt. Als die Chinesen Tibet besetzt hatten und der Dalai Lama ins Exil geflohen war, kehrte der Großvater zurück nach Phaplu, wo er meine Großmutter traf. Die beiden heirateten. Er legte zwar die Mönchskutte ab, war jedoch bis an sein Lebensende als Laienmönch tätig, als Lama. Deshalb der Altar im Wohnzimmer.
    Meine Großmutter war gestorben als Rinzi sechs Jahre alt war. Der Großvater hatte sechs Kinder allein aufziehen müssen. Hartes Brot.
    Jetzt war er krank, am Ende seines Lebens. Natürlich ging mit meiner Mutter sofort die Krankenschwester durch. Sie machte alles sauber, ließ Wasser vom Bach holen, um es auf der Feuerstelle zu wärmen, sie wusch den Großvater und bettete ihn neu, und dann mussten alle helfen, um ihn aus der düsteren Stube hinunter vor das Haus zu tragen, von wo aus man über grüne Felder und Apfelbäume, den Wald und das ganze Tal schauen konnte, in den Frühling, ins Licht der Sonne.
    Meine Eltern blieben zwei Wochen in Phaplu. Meine Mutter erzählt, wie unglaublich gastfreundlich die Familien waren, die sie besuchten. Die Leute hatten nichts, aber eine Tasse Tee gab es auf jeden Fall, und wenn sie ein Ei hatten, kochten sie das Ei für ihre Gäste.
    Am Abend, bevor Rinzi und meine Mutter aufbrechen mussten, um die Reise zurück nach Europa anzutreten, gab es eine Familiensitzung, bei der besprochen wurde, was nach dem Tod des Großvaters geschehen
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