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Hier hat s mir schon immer gefallen

Titel: Hier hat s mir schon immer gefallen
Autoren: Annie Proulx Melanie Walz
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und versuchte, sie zu überreden. Dakotah atmete einen köstlichen Duft, üppig wie Aprikosen in Sahne und mit der leisen Bitterkeit des blausäurehaltigen Kerns. Die Hände der Frau waren wohlgeformt, mit langen, blassen Nägeln, die Finger voller schwerer Diamantringe. Zuletzt gab sie nach, weil es die einzige Möglichkeit zu sein schien, die Frau loszuwerden.
     
    Sash Hicks war nicht mehr vorhanden; beide Beine waren auf mittlerer Höhe des Oberschenkels abgerissen, die linke Gesichtsseite bestand aus glänzendem Narbengewebe, das linke Auge und Ohr fehlten. Es war fast, als sähe sie Marnie, die tot war, wie sie wusste, obwohl sie auf den Fluren immer noch ihre Stimme hörte. Sashs Krankenschwester sagte, er habe einen Hirnschaden erlitten. Doch Dakotah erkannte ihn, den guten alten Billy the Kid, von Pat Garrett zusammengeschossen. Mehr denn je glich er nun dem legendären Banditen. Sein rechtes Auge starrte zur Zimmerdecke. Das zerstörte Gesicht zeigte keine Spur von Erkenntnis, ausgenommen dass irgendetwas überhaupt nicht in Ordnung war, wenn er nur wüsste, was.
    »Sash. Ich bin’s, Dakotah.«
    Er sagte nichts. Obwohl sein Gesicht zerstört und er vom Bauch abwärts ein Wrack war, sahen die rechte Schulter und der rechte Arm kräftig und muskulös aus.
    Dakotah wusste nicht, was sie für ihn empfand - Mitleid oder gar nichts.
    Aus dem verzerrten Mund kamen Laute.
    »Ah - ah - eh.« Er hörte auf, als wäre das Ventil geschlossen worden, das seinen Körper aufpumpte und aufrecht erhielt. Seine kurzzeitige Beschäftigung mit der Außenwelt war vorbei, und er ließ das Kinn zur Brust sinken.
    »Schläfst du?«, fragte Dakotah. Er antwortete nicht, und sie ging.
     
    Die Fahrt zur Ranch war schwer zu ertragen, aber wohin sollte sie sonst gehen? Sie fürchtete sich vor dem Wiedersehen mit Verl; würde sie schreien und auf ihn einschlagen? Die Pistole vom Küchenbüfett nehmen und ihn erschießen? Sie verspürte alles verzehrenden Zorn und zugleich Ohnmacht und Willenlosigkeit, als sie auf dem Rücksitz des Taxis kauerte. Sonny Ezells altes Auto fuhr sehr langsam. Ihre Prothese lag im Koffer. Sie wusste, dass Bonita und Verl den Armstumpf sehen mussten, um es zu glauben, so wie sie Little Verls Grab sehen musste.
    Sie kamen an der Match-Ranch vorbei, die unverändert aussah, und bogen in die Sixteen Mile ab. Die Tage wurden kürzer, doch es war noch lange genug hell, und die untergehende Sonne vergoldete den oberen Teil von Table Butte mit seinen abwechselnd ledergelben, rötlich gelben und violetten Gesteinsschichten. Zitronenschalengelb lag der seichte Fluss träge zwischen den nackten Ufern. Die ersterbende Sonne berührte die Weiden und verwandelte sie in blutige Ruten. Die Straße spiegelte das Licht, als wäre sie aus Glas. Es war, als führen sie durch eine geschmiedete rote Landschaft, in der Ranchgebäude dunkel und kummervoll erschienen. Dakotah wusste, wie blutgetränkter Erdboden aussah, wusste, dass durchtrennte Arterien wie der Wasserschlauch im Hof sprudelten. Aus dem Graben sprang ein Hund, der auf ein Stoppelfeld lief. Sie kamen an der Persa-Ranch vorbei, wo im Hochwasser des vergangenen Frühjahrs der jüngste Sohn ertrunken war. Dakotah fiel auf, dass jede Ranch, an der sie vorbeikam, einen Sohn verloren hatte, früher oder später, lächelnde Jungen, selbstsicher, gesund, aus dem Lebensstrom geworfen durch Schnaps und Geschwindigkeit, Rodeounfälle, schlechte Pferde, tiefe Bewässerungsgräben, hohe Gerüste, Traktoren, die sich überschlugen, oder ungesicherte Autotüren. Darunter ihr Sohn. Das war die Dunkelheit, die darauf wartete, Rancherjungen zu verschlingen, das gefährliche Heranwachsen, das ihre Privilegien auslöschte. Die Fahrt auf dieser Straße war ein Appell der Trauer. Wind fuhr in den feinen Staub, und die Sonne ging im Dunst unter.
    Als Dakotah vor dem Haus ausstieg, nahm der Wind sie ganz in Besitz, krallte sich ihren Schal, blies ihren Mantelsaum hoch, glitt ihren Ärmel hinauf. Sie spürte den Sand. Bei jedem Schritt knisterte trockenes Unkraut unter ihren Schuhen. Sonny Ezell trug ihren Koffer auf die Veranda und wollte kein Geld annehmen. Im Haus schaltete jemand die Außenbeleuchtung ein.
    Sie ließ Verl in Ruhe. Ihre Großeltern nahmen sie in die Arme und weinten. Verl schlug sich auf die Knie und rief schluchzend, er sei untröstlich. Er drückte sein feuchtes Gesicht auf ihre Hand. Nie zuvor hatte er sie jemals berührt. Sie fühlte nichts und hielt das für ein
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