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Hier hat s mir schon immer gefallen

Titel: Hier hat s mir schon immer gefallen
Autoren: Annie Proulx Melanie Walz
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traurig aussah, und wollte ihn aufheitern.
    »Was haben Sie früher gemacht, Mr. Forkenbrock? Waren Sie Rancher?«
    Der alte Mann bedachte sie mit einem zornigen Blick. »Nein«, sagte er.
    »Ich war kein Scheißrancher. Ich war Rancharbeiter. Ich habe für die Scheißkerle gearbeitet. Als Cowboy, wilde Pferde eingeritten, Rodeo, auf dem Ölfeld, Schafe geschoren, Lastwagen gefahren, was anfiel«, sagte er.
    »Und hatte am Ende keinen Cent. Jetzt bezahlt der Ehemann meiner Enkelin dafür, dass ich in diesem Hühnerstall voller alter Weiber hocke«, sagte er. Oft wünschte er, er wäre draußen in einem Unwetter gestorben, allein und ohne jemandem zur Last zu fallen.
    Berenice sprach in bemüht munterem Ton weiter. »Ich habe seit der Highschool auch alle möglichen Jobs gehabt«, sagte sie. »Kellnerin,Tagespflegerin, Putzfrau, Regalauffüllerin, solche Sachen.« Sie war mit Chad Grills verlobt; sie wollten im Frühjahr heiraten, und Berenice wollte nur noch eine Zeitlang arbeiten, um Chads Gehalt bei Red Bank Power aufzubessern. Doch bevor der alte Mann etwas erwidern konnte, kam Deb Slaver geräuschvoll herein, ein Glas in der Hand. Berenice konnte den dunklen Whiskey riechen. Debs laute Stimme drang stoßweise aus ihrer üppigen Brust.
    »Bitte sehr, mein Süßer! Ein kleiner Drink für unseren Ray!«, sagte sie. »Kommen Sie weg von dem hässlichen dunklen Fenster und amüsieren Sie sich!« Sie sagte: »Hätten Sie Lust, mit unserem Mehlgesicht die Sendung Cops anzuschauen?« (Mehlgesicht war Debs Spitzname für eine angemalte alte Vettel mit haselnussbraunen Fingerknöcheln und bräunlichen Zähnen.) »Oder ist Ihnen heute einfach danach zumute, aus dem Fenster zu schauen und ein bisschen Trübsal zu blasen? Haben Sie etwa Sorgen? Ihr alten Leutchen wisst doch gar nicht, was Sorgen sind; ihr sitzt hier gemütlich mit einem schönen Glas Whiskey und schaut Fernsehen«, sagte sie.
    Sie knuffte die Kissen auf dem Sofa. »Sorgen haben wir anderen - Rechnungen, untreue Ehemänner, freche Kinder, kaputte Füße«, sagte sie. »Unsereins muss das Geld für die Winterreifen zusammenkratzen. Mein Mann sagt immer, die Hexe mit den grünen Zähnen würde uns das Leben schwermachen«, sagte sie. »Kommen Sie, ich setze mich ein bisschen zu Ihnen und Mehlgesicht«, und mit diesen Worten zog sie Mr. Forkenbrock an seinem Pullover hoch, verfrachtete ihn auf das Sofa und setzte sich neben ihn.
    Berenice ging in die Küche, um der Köchin zu helfen, die gerade Truthahnfrikadellen auf die Arbeitsfläche klatschte. Auf der Fensterbank flüsterte ein Radio.
    »Sieht aus, als würde es aufklaren«, sagte Berenice. Sie fürchtete sich etwas vor der Köchin.
    »Oh, gut, dass du kommst. Hol mir doch mal die Fritten aus dem Tiefkühlfach«, sagte die Köchin. »Dachte schon, ich dürfte alles allein machen. Deb sollte mir helfen, aber die macht lieber den alten Knackern schöne Augen. Denkt, sie würden ihr dann was vererben. Einige haben ja ein bisschen Land oder Ölaktien, von denen sie leben«, sagte sie. »Kennst du ihren Ehemann Duck Slaver?« Inzwischen raspelte sie Weißkohl in eine Edelstahlschüssel.
    Berenice wusste nur, dass Duck Slaver für Ricochet Towing einen Abschleppwagen fuhr. Plötzlich fiel der Blick der Köchin auf das Radio, und sie stellte es lauter und erfuhr, dass es am nächsten Tag bedeckt sein würde, stellenweise klar, und am übernächsten Tag windig mit Schneeschauern.
    »Wir sollten dankbar sein, dass es bei dieser Trockenheit regnet. Weißt du, was Bench sagt?« Bench war der UPS-Fahrer und für die Köchin ein unerschöpflicher Wissensborn, vom Zustand der Straßen bis zu Familienkrächen.
    »Nein.«
    »Sagt, wir wären kurz davor, dass hier alles Wüste wird.Wird alles weggeweht«, sagte sie.
    Als Berenice in den Aufenthaltsraum ging, um das Abendessen anzukündigen - Truthahnburger, Pommes frites (die Mr. Mellowhorn noch immer hartnäckig »Freiheitsfritten« nannte), Bratensauce, Preiselbeerkompott, Mais mit Sahne und frischgebackene Brötchen -, sah sie, dass Deb Mr. Forkenbrock in die Ecke des Sofas gedrängt hatte und dass Mehlgesicht auf dem Sessel mit dem kaputten Bein saß und zusah, wie Polizisten Schwarze mit dem Gesicht auf den Gehsteig knallten. Mr. Forkenbrock starrte auf das dunkle Fenster, in dessen herabrinnenden Regentropfen sich das bläuliche Flackern des Fernsehers spiegelte. Er wirkte sehr allein. Deb und Mehlgesicht hätten genauso gut zwei ausgestopfte Hunde sein können.
    Nach
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