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Hier hat s mir schon immer gefallen

Titel: Hier hat s mir schon immer gefallen
Autoren: Annie Proulx Melanie Walz
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dem Abendessen riss Berenice auf dem Weg zur Küche die Tür auf und atmete tief die frische Luft ein. Die östliche Hälfte des Himmels war sternenübersät, die westliche schwarz wie Basalt.
     
    In der morgendlichen Dunkelheit setzte der Regen wieder ein. Ray Forkenbrock kannte die Worte des Dichters nicht, hätte sie aber verstanden: »Ich erwache und fühle die Finsternis kommen, nicht den Tag.« Nichts kam ihm in der Natur hinterhältiger vor als dieses unsichtbare Anschleichen des Wetters, die unförmige Wolke, die sich unter dem Deckmantel der Dunkelheit heranpirschte. Als der Morgen schwach wie ein Foto im Entwicklerbad zum Vorschein kam, wurde das Geräusch des Regens schärfer. Hagel, dachte er und erinnerte sich an einen langen Ausritt eines Oktobers in seiner Jugend bei ähnlichem Wetter, seine Jeansjacke war durchnässt und mit Eiskristallen bedeckt gewesen, und er erinnerte sich, dass er dem alten Pferdefänger begegnet war, der in der Wüste lebte, musste schon über achtzig gewesen sein und hinkte daher durch den klirrenden Niederschlag, suchte die nächste Unterkunft für Rancharbeiter, wie er sagte, in der er vor dem Unwetter Schutz finden konnte.
    »Die nächste ist Flying A«, sagte Ray und kniff die Augen zusammen, als ihm der Hagel ins Gesicht wehte.
    »Gehört die nicht Hawkins?«
    »Nö. Hawkins hat vor zwei Jahren alles verkauft. Gehört jetzt einem gewissen Fox«, antwortete er.
    »Mist, hier draußen kriegt man nichts mehr mit. Bis vorgestern hatte ich eine prima Hütte«, sagte der Pferdefänger, der vor Kälte mit den Zähnen klapperte, und erzählte, dass seine Hütte abgebrannt war und er zwei Nächte im Beifußgestrüpp geschlafen hatte und dass sein Schlafsack jetzt pitschnass war und er nichts mehr zu essen hatte. Ray tat der alte Mann leid, und gleichzeitig wollte er ihn loswerden. Es war ein blödes Gefühl, dass er ritt, während der Mann zu Fuß ging, aber dieses unangenehme Schuldgefühl erfasste ihn jedes Mal, wenn er an einem Fußgänger vorbeiritt.Was konnte er dafür, dass der alte Mann kein Pferd hatte?Wenn er als Pferdefänger etwas taugte, hätte er Hunderte von Pferden besitzen müssen. Ray suchte in seinen Taschen und förderte drei, vier muffige Erdnüsse voller Fusseln zutage.
    »Ist nicht viel, aber mehr habe ich nicht«, sagte er und hielt sie dem Mann hin.
    Der alte Bursche hatte Flying A nicht erreicht. Tage später fand man ihn an einen Felsen gelehnt sitzend. Ray erinnerte sich an das unangenehme Gefühl, das die Begegnung begleitet hatte, an den Eindruck vom hohen Alter des Mannes. Jetzt war er selbst so alt, aber er hatte es nach Flying A geschafft - Wärme und Zuflucht im Mellowhorn-Altersheim. Und doch erschien ihm der Tod des alten Pferdefängers an dem Felsen ehrenhafter.
    Es war halb sieben, und es gab keinen Grund aufzustehen, aber er zog Jeans und Hemd an und außerdem einen Altherrenpullover, denn im Speisesaal konnte es ziemlich kalt sein, bevor die Heizung in Gang kam; die Stiefel ließ er im Schrank, und er schlurfte den Flur in roten Filzpantoffeln entlang, die zu weich waren, als dass es sich gelohnt hätte, dem ausgestopften Bugs mit seinen Glotzaugen am Fuß der Treppe einen Tritt zu verpassen. Die Pantoffeln hatte ihm seine Enkeltochter Beth geschenkt, die mit Kevin Bead verheiratet war. Beth bedeutete ihm viel. Er hatte den Entschluss gefasst, ihr das hässliche Familiengeheimnis zu offenbaren. Er wollte seine Nachkommen nicht mit beschämenden Ungewissheiten belasten. Er wollte für klare Verhältnisse sorgen. Beth würde am Samstagnachmittag ihren Kassettenrecorder mitbringen und ihm helfen, die richtigen Worte zu finden. Unter der Woche würde sie alles in ihren Computer tippen und ihm dann die frisch ausgedruckten Seiten bringen. Er hatte es vielleicht in seinem Leben nicht weiter gebracht als zum Rancharbeiter, aber was er wusste, das wusste er.
     
    Beth hatte dunkle Haare und apfelrote Wangen, als wäre sie gerade geohrfeigt worden. Er nahm an, dass das ihr irisches Erbe war. Sie kaute Nägel, ein unschöner Anblick bei einer erwachsenen Frau. Ihr Ehemann Kevin arbeitete in der Kreditabteilung der High Plains Bank. Er beschwerte sich darüber, wie bescheuert sein Job sei, weil er Geld und Kreditkarten an Leute verteilte, die ihre Kredite nie und nimmer tilgen konnten.
    »Früher musste man schwer arbeiten und kreditwürdig sein, um an eine Kreditkarte zu kommen. Heute gilt: Je bankrotter einer ist, umso mehr Karten schmeißen sie ihm
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