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Hier hat s mir schon immer gefallen

Titel: Hier hat s mir schon immer gefallen
Autoren: Annie Proulx Melanie Walz
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Wir waren zusammen auf der Schule, nur waren Sie zwei Klassen über mir.«
    Aber er konnte sich nicht an sie erinnern.
     
    Am nächsten Morgen sah er auf, als er die Gabel über dem pochierten Ei hielt, das wie eine Huri auf einem Bett aus durchweichtem Toastbrot ruhte, und begegnete ihrem durchdringenden Blick. Ihre rot glänzenden Lippen öffneten sich und enthüllten ockergelbe Zähne, die mit Sicherheit ihre eigenen waren, denn kein Zahntechniker würde ein Gebiss anfertigen, das aussah, als wäre es aus einer Kloake gefischt worden.
    »Erinnern Sie sich nicht an Mrs. Wilson?«, sagte sie. »Die Lehrerin, die in einem Blizzard erfroren ist, als sie ihre Katze suchte? Und an die Skeltcher-Kinder, die sich in einem alten Bergwerkschacht das Genick gebrochen haben?«
    Er erinnerte sich undeutlich an eine Lehrerin, die in einem Blizzard im Juni erfroren war, obwohl er dachte, das wäre woanders passiert, irgendwo in der Gegend von Cold Mountain. Und was die Skeltcher-Kinder betraf, schüttelte er den Kopf.
     
    Am Samstag kam Beth und stellte wieder das Glas mit Wasser hin, das Glas mitWhiskey und den Kassettenrecorder. Er hatte überlegt, was er sagen wollte. In seinem Kopf war es ganz klar, aber es war schwer inWorte zu fassen. Das Ganze war so kompliziert und schmerzlich gewesen, dass es schwer sein würde, davon zu sprechen, ohne wie ein Trottel dazustehen. Und Mrs.Terry Taylor alias Theresa Worley wich ihm nicht von der Seite. Er versuchte, sich an die erfrorene Lehrerin zu erinnern, an die Skeltcher-Kinder in dem Bergwerkschacht, daran, dass Mr. Baker wegen eines Scheffels Kartoffeln Mr. Dennison erschossen hatte, und an ein Dutzend weitere Tragödien, die sie als Köder für seine Erinnerung ausgelegt hatte. Er erinnerte sich an ganz andere Geschehnisse. Daran, dass er mit Dutchy Green auf den Irish Hill gestiegen war, um sich mit Forrie Wintka zu treffen, die ihnen für fünf Cent pro Nase ihr Geschlecht zeigen wollte. Es war Spätherbst, die Pappeln an dem freudlosen Rinnsal des Coal Creek blattlos, die Luft noch warm. Sie sahen Forrie Wintka, die von den Hütten unten den Berg heraufkletterte. Dutchy sagte, es wäre ganz leicht, sie würde es ihnen nicht nur zeigen, sondern sie könnten es auch mit ihr tun, sogar ihr Bruder tat es mit ihr.
    Dutchy flüsterte, als könnte Forrie sie hören. »Sogar ihr Stiefvater. Letztes Jahr hat ihn ein Puma erwischt.«
    Und nun, einundsiebzig Jahre später, begriff er plötzlich. Ihr Vater war Worley gewesen, und Wintka war der Stiefvater, der die Post zu Pferde ausgetragen hatte und der im Snakeroot Canyon von einem Puma in die Berge verschleppt worden war. Das erste weibliche Wesen, das er je beackert hatte, die Schlampe aus dem Bergarbeiternest, verbrachte seine letzten Tage genau wie er im Mellowhorn-Altersheim.
    »Beth«, sagte er zu seiner Enkelin, »heute kann ich über nichts sprechen«, sagte er. »Mir sind da ein paar Sachen eingefallen, über die ich erst nachdenken muss. Die neue Frau, die letzte Woche hergekommen ist. Die habe ich früher gekannt, und die Umstände waren nicht sehr erfreulich«, sagte er. Das war das Problem mit Wyoming: Alles, was man tat oder sagte, begleitete einen bis ins Grab. Die ländliche Familie ließ einen nicht aus den Klauen.
    Mr. Mellowhorn führte Ausflüge mit Übernachtung ein, von ihm als »Abenteuerwochenenden« bezeichnet. Der erste Ausflug hatte zum Medicine Wheel in den Bighorns geführt. Mrs. Wallace Kimes war hingefallen und hatte sich in dem Splitt auf dem Parkplatz die Knie aufgeschürft. Dann kam das Wochenende auf einer Gästeranch, bei dem die Ausflügler des Mellowhorn-Heims sich mit sieben Wapitijägern aus Colorado konfrontiert sahen, die fast ausnahmslos betrunken waren und ohne erkennbare Ursache markerschütternd und brüllend lachten. Mehlgesicht lachte begeistert mit, ohne zu wissen, warum. Der dritte Ausflug war anspruchsvoller: eine fünftägige Reise zum Grand Canyon, wo keiner der Heimbewohner je gewesen war. Zwölf Teilnehmer fanden sich trotz der beträchtlichen Kosten für Reise und Unterkunft.
    »Man lebt nur einmal!«, rief Mehlgesicht.
    Zu den Teilnehmern zählten auch die Neuankömmlinge Church Bollinger und Forrie Wintka alias Theresa Worley alias Terry Dolan beziehungsweise zuletzt Terry Taylor. Forrie und Bollinger saßen unterwegs nebeneinander, tranken zusammen in der Bar von El Tovar, aßen zusammen an einem Tisch für zwei und planten einen Reitausflug auf einem Trail für den nächsten
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