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HHhH

HHhH

Titel: HHhH
Autoren: Binet Laurent
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Handlungsverlauf der Geschichte, wusste aber auch nicht viel mehr als mein Hauptfeldwebel. Ich musste mich noch zwei oder drei Jahre gedulden, bis ich bestätigt bekam, was ich immer geahnt hatte: dass diese Geschichte die wahnwitzigsten Phantasiegebilde an Intensität und Glaubwürdigkeit um Längen übertrifft.
    Ich hatte für Aurélia eine Wohnung im Zentrum von Prag gemietet, zwischen dem Schloss Vyšehrad und Karlovo náměstí, dem Karlsplatz. Von diesem Platz zweigt eine Straße ab, die Resslova ulice. Sie trifft dort auf den Fluss, wo jenes eigenartige Glasgebäude steht, das sich durch die Lüfte zu schlängeln scheint und von den Tschechen «Tančicí Dům» genannt wird, tanzendes Haus. Auf der rechten Seite der abschüssigen Straße Resslova befindet sich eine Kirche. Die Kirche hat an der Seitenfront ein Kellerfenster. In dem das Fenster umgebenden Stein sind zahlreiche Einschusslöcher zu sehen, neben einem Schild, auf dem unter anderem die Namen Gabčik und Kubiš erwähnt werden – und Heydrich, mit dem ihr Schicksal für immer verbunden ist. Zigmal bin ich an diesem Kellerfenster vorbeigegangen, ohne die Einschusslöcher oder das Schild zu bemerken. Doch eines Tages blieb ich davor stehen: Ich hatte die Kirche gefunden, in der sich die Fallschirmspringer nach dem Attentat versteckt hielten.
    Gemeinsam mit Aurélia kehrte ich zu einer Zeit zurück, zu der die Kirche geöffnet war, und wir konnten die Krypta besichtigen.
    Wir betraten eine wahre Goldgrube.

6
    Die Spuren des Dramas, das sich vor über sechzig Jahren in diesem kleinen Raum abgespielt hatte, waren noch erschreckend frisch: Ich sah die Innenseite des Kellerfensters, das ich von außen betrachtet hatte, einen Tunnel von wenigen Metern Länge, die Abdrücke der Kugeleinschläge an den Wänden und in der gewölbten Decke sowie zwei kleine Holztüren. Außerdem gab es dort Fotos, auf denen die Gesichter der Fallschirmspringer zu sehen waren. In einem zweisprachigen Text auf Tschechisch und Englisch las ich den Namen eines Verräters, ein Plakat zeigte einen herrenlosen Regenmantel, eine Umhängetasche und ein Fahrrad, außerdem gab es dort eine Sten, eine Maschinenpistole, die im denkbar ungünstigsten Moment eine Ladehemmung hatte; es war von Frauen die Rede, von Unvorsichtigkeiten, von London, von Frankreich, von Legionären, einer Exilregierung, einem Dorf namens Lidice, einem jungen Späher namens Valčík, von einer Tram, die vorbeifuhr – ebenfalls im denkbar ungünstigsten Moment –, von einer Totenmaske, einer Belohnung von zehn Millionen Kronen für einen potenziellen Denunzianten, von Zyankali-Kapseln, von Granaten und den Menschen, die die Granaten warfen, von Rundfunksendern und verschlüsselten Nachrichten, von einem verstauchten Knöchel, von Penicillin, das ausschließlich in England zu bekommen war, von einer Stadt, die vollständig unter der Fuchtel des sogenannten Henkers stand; es gab Hakenkreuz-Fahnen, Totenkopfabzeichen, deutsche Spione, die für England arbeiteten, einen schwarzen Mercedes mit einem Platten, einen Schlächter, Parteivorsitzende, die sich um einen Sarg scharten, über Leichen gebeugte Polizisten, fürchterliche Repressalien, menschliche Größe und Wahnsinn, Schwäche und Verrat, Mut und Angst, Hoffnung und Schmerz – alle Gefühle auf wenigen Quadratmetern vereint. Es gab Krieg und Tod, deportierte Juden, ganze Familien, die ausgelöscht wurden, es gab gefallene Soldaten, Vergeltung und politisches Kalkül, es gab einen Mann, der unter anderem Geige spielte und Fechten übte, es gab einen Schlosser, der seinen Beruf nie ausüben konnte, es gab den Geist des Widerstandes, der diese Mauern auf ewig durchdrungen hat, es gab Spuren des Kampfes zwischen den Kräften des Lebens und des Todes, es gab Böhmen, Mähren und die Slowakei – die ganze Weltgeschichte innerhalb weniger Mauersteine.
    Und draußen standen siebenhundert SS-Soldaten.

7
    Beim Stöbern im Internet entdeckte ich einen Film mit dem Titel Die Wannseekonferenz , in dem Kenneth Branagh Heydrich verkörpert. Bei dem Preis von fünf Euro, inklusive Versandgebühren, schlug ich sofort zu und erhielt drei Tage später die DVD.
    Der Film stellt die Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942 nach, während der Heydrich mit Unterstützung von Eichmann innerhalb weniger Stunden festlegte, wie die Endlösung umgesetzt werden sollte. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Massenerschießungen in Polen und der UDSSR bereits begonnen. Sie wurden von
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