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HHhH

HHhH

Titel: HHhH
Autoren: Binet Laurent
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soso.

10
    Ich habe geschrieben, dass die graue Eminenz an der Seite von Hynkel-Hitler in Chaplins Der große Diktator Heydrich zum Vorbild hatte, aber das stimmt nicht. Ich hatte nicht bedacht, dass Heydrich 1940 eine Art Schattenmann war, den die wenigsten kannten, was umso mehr für die Amerikaner galt. Das Problem liegt natürlich nicht dort: Chaplin könnte seine Existenz erahnt und damit richtiggelegen haben. Tatsache ist auf jeden Fall, dass der Scherge des Diktators in dem Film als listige Schlange dargestellt wird und seine Intelligenz in starkem Kontrast zum lächerlichen Auftreten des Schauspielers steht, der den grobschlächtigen Göring parodiert. Doch die Figur des Heydrich hat auch einen drolligen, verweichlichten Zug an sich, der nicht zum künftigen Schlächter von Prag passt.
    Und wo wir schon bei filmischen Darstellungen Heydrichs sind: Ich habe gerade erst einen alten Film mit dem Titel Hitlers Madman von Douglas Sirk (der tschechische Wurzeln hat) im Fernsehen gesehen. Es handelt sich um einen amerikanischen Propagandafilm, der innerhalb einer Woche abgedreht wurde und 1943 kurz vor Fritz Langs Auch Henker sterben herauskam. Die Handlung ist völlig frei erfunden (wie bei Lang auch) und im Herzen des Widerstands angesiedelt – in dem Märtyrerdorf Lidice, dem das gleiche Schicksal blühte wie der französischen Stadt Oradour-sur-Glane. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie sich die Dorfbewohner gegenüber einem der von London ausgesandten Fallschirmspringer verhalten werden: Werden sie ihm helfen, werden sie sich heraushalten, oder werden sie ihn gar verraten? Leider verharmlost der Film die Organisation des Attentats, indem er sie einer kleinen lokalen Initiative zuschreibt, die durch eine Aufeinanderfolge von Zufällen und glücklichen Fügungen zusammenfand (Heydrich durchquert zufällig das Dorf Lidice, in dem zufällig ein Fallschirmspringer Unterschlupf gefunden hat, und die Dorfbewohner erfahren auch nur zufällig, zu welcher Zeit der Wagen des Protektors vorbeikommen soll). Die Intensität des Handlungsverlaufs ist dadurch deutlich abgeschwächter als in Langs Film, in dem sich die Dramaturgie – gemäß Brechts Drehbuch – wie in einem wahren Nationalepos entwickelt.
    Dafür ist der Schauspieler, der Heydrich in Douglas Sirks Film verkörpert, große Klasse. Zunächst ähnelt er ihm äußerlich. Weiterhin gelingt es ihm, die Brutalität seiner Figur darzustellen, ohne sie mit zu versponnenen Ticks auszustatten, während Lang dieser Versuchung – unter dem Vorwand, damit die seelischen Abgründe Heydrichs zu unterstreichen – erlag. Sicher, Heydrich war ein unheilbringender, unbarmherziger Saukerl, aber er war nicht Richard III. Bei besagtem Schauspieler handelt es sich um John Carradine, den Vater von David Carradine alias Bill in Tarantinos Kill Bill . Die gelungenste Szene des Films ist Heydrichs Todeskampf: Dem Tode geweiht, liegt er im Bett und wird von Fieberkrämpfen geschüttelt. Dabei hält er Himmler eine Predigt, bei der durchaus etwas Shakespeare mitschwingt, die mir aber dennoch einleuchtend erscheint: Der Schlächter von Prag scheidet weder feige noch heroisch aus dem Leben, ohne Reue, ohne Fanatismus. Er bedauert lediglich, das einzige Leben hinter sich zu lassen, das ihm tatsächlich etwas bedeutet hat – sein eigenes.
    Wie gesagt: einleuchtend.

11
    Die Monate ziehen vorüber, schließlich werden daraus Jahre, und in all dieser Zeit wächst die Geschichte in mir unaufhörlich. Und während mein Leben weiterläuft, wie bei jedem von uns angefüllt mit Freude, persönlichen Dramen, Enttäuschungen und Hoffnungen, füllen sich die Regale meiner Wohnung mit Büchern über den Zweiten Weltkrieg. Ich verschlinge alles, was mir in die Hände fällt, in allen möglichen Sprachen, ich werde mir alle Filme ansehen, die demnächst herauskommen – Der Pianist, Der Untergang, Die Fälscher, Black Book usw. –, im Fernsehen schaue ich nur noch den Geschichtskanal, den ich über Kabel empfange. Ich lerne haufenweise Dinge, von denen manche nur entfernt mit Heydrich zu tun haben, doch ich sage mir, dass alles nützlich sein kann und dass man sich mit einer Epoche richtiggehend vollsaugen muss, um ihren Zeitgeist zu verstehen. Und wenn man die Spur des Wissens erst einmal aufgenommen hat, folgt man ihr von ganz alleine. Das schiere Ausmaß meines angehäuften Wissens schüchtert mich schließlich ein. Ich schreibe zwei Seiten, während ich Tausende lese. Bei diesem Rhythmus
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