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HHhH

HHhH

Titel: HHhH
Autoren: Binet Laurent
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Früchte der wenigen Worte, die mir als Jugendlichem von meinem Vater zugeworfen wurden, der damals noch kein Lehrer für Geschichte war, sich aber gut darauf verstand, sie in wenigen schlichten Sätzen zu vermitteln.
    Die Weltgeschichte.

3
    Schon im Kindesalter, lange vor der Trennung der beiden Länder, konnte ich – dem Tennis sei Dank – zwischen Tschechen und Slowaken unterscheiden. Ich wusste zum Beispiel, dass Ivan Lendl Tscheche war und Miroslav Mecir Slowake. Und während der Slowake Mecir ein phantasievoller, talentierter und sympathischer Spieler war, war der Tscheche Lendl strebsam, kühl und unsympathisch (aber trotzdem über 270 Wochen die weltweite Nummer eins; dieser Rekord wurde nur von Pete Sampras mit 286 Wochen an der Spitze übertroffen). Doch von meinem Vater hatte ich auch gelernt, dass die Slowaken während des Krieges kollaboriert, die Tschechen hingegen Widerstand geleistet hatten. In meinem Vermögen, die erstaunliche Komplexität der Welt zu begreifen (das damals noch sehr begrenzt war), bedeutete dies, dass alle Tschechen Widerstandskämpfer gewesen waren und alle Slowaken Kollaborateure, als sei es von Natur aus so vorgegeben. Dabei hatte ich keine Sekunde über die Rolle Frankreichs nachgedacht, die einen derartigen Schematismus eigentlich in Frage stellt: Haben wir Franzosen nicht zugleich Widerstand geleistet und kollaboriert? Um ehrlich zu sein, bekam ich erst, nachdem ich erfahren hatte, dass Tito Kroate war (alle Kroaten hatten also nicht kollaboriert, und demnach hatten wahrscheinlich auch nicht alle Serben Widerstand geleistet), allmählich eine deutlichere Vorstellung von der Situation der Tschechoslowakei zu Kriegszeiten: Einerseits gab es dort Böhmen-Mähren (anders gesagt: die heutige tschechische Republik), das von den Deutschen okkupiert und dem Reich einverleibt wurde (und damit den nicht gerade beneidenswerten Status eines Protektorats erhielt, das als Bestandteil des Deutschen Reiches betrachtet wurde); auf der anderen Seite gab es den slowakischen Staat, theoretisch unabhängig, von den Nazis aber zu einem Satellitenstaat degradiert. Das alles sagt natürlich nicht das Geringste über das Verhalten der einzelnen Personen aus.

4
    1996 reiste ich nach Bratislava, um in einer Militärakademie der westlichen Slowakei als Französischlehrer zu arbeiten. Eine meiner ersten Fragen an den Sekretär des Verteidigungsattachés der französischen Botschaft galt der Geschichte des Attentats (zuvor erkundigte ich mich allerdings nach meinen Koffern, die eine Irrfahrt Richtung Istanbul angetreten hatten). Dieser anständige Mann, ein Hauptfeldwebel, war in der ehemaligen Tschechoslowakei auf das Abhören von Telefongesprächen spezialisiert gewesen und nach Ende des Kalten Krieges zum Botschaftssekretär umgeschult worden. Er verriet mir die ersten Details über die Affäre. So erfuhr ich, dass zwei Männer die Aktion durchgeführt hatten: ein Tscheche und ein Slowake. Ich war beglückt über die Mitteilung, dass ein Staatsangehöriger meines Gastlandes an der Operation beteiligt gewesen war (es hatte also doch slowakische Widerstandskämpfer gegeben). Über den Ablauf der Aktion an sich verriet er nicht viel, außer, dass eine der Waffen in dem Moment, in dem auf Heydrichs Wagen gezielt wurde, eine Ladehemmung hatte (bei dieser Gelegenheit habe ich auch erfahren, dass Heydrich während des Tathergangs tatsächlich im Auto saß). Doch besonders die nachfolgenden Ereignisse weckten meine Neugier: Die beiden Partisanen hielten sich mit ihren Freunden in einer Kirche versteckt, und die Deutschen versuchten, sie darin zu ertränken … komische Geschichte. Ich hätte gern Einzelheiten erfahren. Aber der Hauptfeldwebel wusste nicht mehr.

5
    Kurz nach meiner Ankunft in der Slowakei lernte ich eine sehr hübsche junge Slowakin kennen, in die ich mich hoffnungslos verliebte und mit der ich eine leidenschaftliche Liebesgeschichte durchlebte, die beinahe fünf Jahre andauerte. Von ihr erhielt ich zusätzliche Informationen. Zunächst die Namen der Hauptakteure: Jozef Gabčik und Jan Kubiš. Gabčik war der Slowake und Kubiš der Tscheche – der Klang ihrer jeweiligen Nachnamen ließ keinen Zweifel zu. Auf jeden Fall schienen die beiden Männer Bestandteil der historischen Landschaft gewesen zu sein: Aurélia, besagte junge Frau, hatte ihre Namen in der Schule gelernt, so wie alle kleinen Tschechen und Slowaken ihrer Generation, nehme ich an. Ansonsten kannte sie den groben
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