Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II

Titel: Hexer-Edition 22: Der Sohn des Hexers II
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
der Tod in diesem Moment wie eine Erlösung erschien.
    »Machen Sie schon«, sagte ich bitter.
    Der Anteil von Trauer in Crowleys Gesicht wurde stärker. Er hob das Messer weiter, verharrte aber dann noch einmal in der Bewegung. »Bei allem, was nun geschieht, Robert«, sagte er, »bedenken Sie eines: Dies ist ein magischer Ort. Ein Ort, an dem die Zeit anderen Gesetzen gehorcht als den uns bekannten. Ein Ort unvorstellbarer Kraft, ein Ort jenseits der Zeit und der Dimensionen. Vielleicht der einzige Ort im Universum, an dem die Gesetze der Zeit nicht gelten und an dem das, was geschehen ist, doch ungeschehen gemacht werden kann.«
    Ich schwieg. Nicht, dass ich auch nur ein Wort von dem verstand, was er sagte. Aber plötzlich hatte ich doch Angst, eine schier unbeschreibliche Angst. Doch sie galt nicht mir, sondern dem Jungen, der mit weit vorgestreckten Armen vor mir am Rande des Schachtes stand und meine Todesmelodie sang. Es war nicht der Umstand, dass dieser Junge mein Sohn war. Der Gedanke war noch viel zu frisch, als dass ich ihn wirklich akzeptiert hätte. Ich wusste, dass Crowley die Wahrheit gesagt hatte, aber ich brauchte einfach Zeit, um die volle Tragweite seiner Worte zu begreifen, und diese Zeit würde ich nicht mehr haben.
    Was mir Angst machte, war der Gedanke an das Schicksal, das diesem Jungen bevorstand, ein Los, das so grausam war, dass meine Phantasie vermutlich nicht einmal ausreichte, es auch nur zu erahnen.
    Crowley streckte die Hand aus. »Kommen Sie, Robert.«
    Ich gehorchte.
    Crowley wandte sich zu Joshua um und machte eine Bewegung; und obwohl der Junge nicht einmal in seine Richtung sah, drehte er sich eine Sekunde später vom Rand des Schachtes weg und trat neben ihn.
    »Berühren Sie ihn, Robert«, befahl Crowley. »Nur so kann sich ihr magisches Erbe wieder vereinen.«
    Alles in mir schrie danach, es nicht zu tun. Und trotzdem beobachtete ich entsetzt meine eigene Hand, die sich, meinem Willen nicht länger gehorchend, auf Joshuas Schulter senkte. Crowley hob den Dolch und ich schloss die Augen.
    Ein furchtbarer, reißender Laut erklang. Ich spürte nichts. Keinen Schmerz, nicht einmal eine Berührung. Zumindest war der Tod gnädig genug, seinen Bruder Pein nicht mitgebracht zu haben.
    Dann hörte ich einen zweiten, dumpfen Laut. Etwas Schweres schlug auf dem Boden auf und zerbrach und plötzlich begann Joshua zu taumeln. Ich öffnete die Augen.
    Crowleys Dolch hatte sich bis zum Heft in seine Brust gebohrt.
    Ich begriff einfach nicht, was ich sah. Joshua wankte immer heftiger. Er hatte das SIEGEL fallen gelassen. Es war auf dem harten Boden aufgeprallt und zerborsten; zwei der sechs Teile waren bis zum Rand des Schachtes gerollt. Joshuas Augen standen weit auf und ihr Blick war von einer unheimlichen Klarheit. Obwohl das Messer sein Herz durchbohrt haben musste, lebte er noch.
    Langsam, unendlich langsam, wie von einer unsichtbaren Hand gestützt, begann er in die Knie zu brechen. Ein schmerzerfülltes Seufzen kam über seine Lippen und die Brust seines verbrannten Hemdes färbte sich rasch rot.
    Aus der Tiefe des Schachtes erklang ein Brüllen, das das Universum selbst zum Erzittern zu bringen schien. Ein Schwall purer Wut schoss wie eine Lavasäule aus dem Herzen eines Vulkans zu uns empor und die gesamte, schwarze Pyramide begann zu beben. Das grüne Licht färbte sich rot und flackerte.
    Und ich erwachte endlich aus meiner Erstarrung.
    Mit einem Schrei warf ich mich vor und streckte die Hände nach Joshua aus, doch Crowley stieß mich so wuchtig zurück, dass ich das Gleichgewicht verlor und stürzte. Als ich wieder auf die Füße kam, war er neben Joshua auf die Knie gesunken und hatte den Jungen ergriffen; auf eine Art und Weise, die mich mitten in der Bewegung innehalten ließ.
    Erschüttert blickte ich auf den alten Mann herab, der das sterbende Kind in den Armen hielt wie eine Mutter ihr todgeweihtes Baby. Tränen liefen über sein Gesicht. Seine Schultern bebten.
    »Crowley, was … was haben Sie … getan?«, stammelte ich. Ich konnte kaum sprechen. Zu dem Zittern unter meinen Füßen gesellte sich ein immer schneller werdendes Drehen in meinem Kopf. Es war, als wäre die Wirklichkeit selbst aus den Fugen geraten.
    »Das Einzige, was … ich tun konnte«, antwortete Crowley stockend. Er weinte jetzt laut, und – es war absurd, durch und durch grotesk, aber ich war nicht einmal sicher, ob es Tränen des Schmerzes waren, die ich auf seinem Gesicht sah, oder des
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher