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Hexer-Edition 19: Der abtrünnige Engel

Hexer-Edition 19: Der abtrünnige Engel

Titel: Hexer-Edition 19: Der abtrünnige Engel
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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direkt in den Himmel hinaufzustürzen, dann sah ich Sill, die mit hilflos schlagenden Gliedern an mir vorüberfiel wie ein großer schwarzer Vogel, dann das Meer …
    Der Aufprall war entsetzlich.
    Wer immer behauptet hat, Wasser habe keine Balken, ist noch nie aus fünfzig Yards Höhe ins Meer gestürzt. Es war, als fiele ich auf eine mit Nägeln gespickte Glasscheibe herab, die unter mir zerbarst. Wie ein Stein sank ich zehn, fünfzehn Yards weit in die Tiefe, spürte den entsetzlichen Wasserdruck und wollte schreien, bekam aber nur den Mund voll Wasser. Ein ungeheurer Sog packte mich, wirbelte mich herum, schleuderte mich wieder in die Höhe und schnippte mich wie ein lästiges Insekt aus dem Meer heraus.
    Ich fiel so schnell zurück, dass ich kaum Zeit für einen hastigen Atemzug fand.
    Diesmal versank ich nicht ganz so tief und diesmal war ich geistesgegenwärtig genug, hastige Schwimmbewegungen zu machen, die mich wieder an die Oberfläche tragen sollten.
    Wie gesagt – sollten.
    Es ging nicht.
    Eine unsichtbare Kraft zerrte an meinen Beinen, riss mich herum und weiter in die Tiefe und ließ mich abwechselnd kopfstehen und aufrecht und mit ebenso wild wie vergebens rudernden Armen weitersinken. Der Druck auf meine Lungen wurde allmählich unerträglich. Ich raffte die letzten Kraftreserven zusammen, die ich noch aufbringen konnte, um wieder in die Höhe zu kommen. Das Meer glänzte wie ein zerbrochener Silberspiegel über mir. Unendlich weit über mir. Und es entfernte sich immer weiter.
    Mein Sinne begannen zu schwinden. Ich spürte, wie meine Bewegungen schwächer wurden und der Sog mich immer heftiger herumwirbelte, sah Farben und Formen in einem irrsinnigen Kaleidoskop um mich herumwirbeln, dann etwas Schwarzes, Großes, das mir vage vertraut vorkam, das ich aber nicht mehr einzuordnen wusste. Dann ergriff irgendetwas meinen Fuß und zerrte daran.
    Plötzlich war das tobende Wasser verschwunden. Harter Fels schrammte an meinem Gesicht entlang, etwas Weiches, Ekelhaftes berührte meine Hände – und dann konnte ich atmen.
    Länger als zwei Minuten saß ich einfach da, den Kopf gegen den Felsen gepresst und mit geschlossenen Augen, und sog meine gemarterten Lungen gierig voller Sauerstoff. Ich hockte noch immer bis zu den Hüften im Wasser, jeder einzelne Knochen im Leib tat mir weh und der Boden unter meinen Füßen erzitterte. In meinen Ohren war ein apokalyptisches Dröhnen und Rauschen, zweifellos der Lärm des Riesenstrudels, der mich in die Tiefe gezerrt hatte. Aber ich konnte atmen, und das war alles, was zählte.
    Es dauerte sehr lange, bis ich mir meiner Umgebung wieder halbwegs bewusst wurde. Der Felsspalt, in den Sill mich gezerrt hatte, war breiter, als ich im ersten Augenblick angenommen hatte. Sill hatte in ihm nicht nur einen festen Halt und eine Luftblase (wo immer sie herkommen mochte) gefunden. Er bot auch mir Schutz gegen das Wasser, das nur wenige Zentimeter hinter mir vorbeistürzte, ein bizarrer Wasserfall unter der Meeresoberfläche. Ich hörte Sills Stimme, dass der Spalt in einen anderen Raum führen würde, versuchte zu antworten und bekam nur ein würgendes Keuchen heraus. Und sie sprach von einer Gefahr, die auf uns lauerte. Aber das war mir in diesem Augenblick völlig egal. Ich war so fertig, dass ich nicht einmal mehr denken konnte, und rang gequält nach Luft. Gleichzeitig hustete ich den Schlamm aus, der in meine Kehle geraten war, und versuchte an meinem Körper irgendeine Stelle auszumachen, die nicht wehtat.
    An Sill dachte ich erst wieder, als mir plötzlich zu Bewusstsein kam, dass ich allein war.
    Mühsam richtete ich mich auf, fuhr mir mit beiden Händen über die Augen und versuchte, in dem dämmerigen Halbdunkel hier unten irgendwelche Einzelheiten zu erkennen.
    Viel gab es ohnehin nicht zu sehen. Der Felsspalt verlief noch ein Stück geradeaus und erweiterte sich dann zu einer Höhle, in der ich jedoch keine Einzelheiten ausmachen konnte. Es musste eine pure Laune der Natur sein, dass es atembare Luft in diesem unterseeischen Riff gab. Vielleicht auch ein schlechter Witz, denn ich fragte mich plötzlich, wie um alles in der Welt wir hier jemals wieder herauskommen sollten.
    Ich vertrieb den Gedanken, stieß mich müde von der Wand ab und rief Sills Namen. Die einzige Antwort, die ich bekam, war ein hohles, vielfach gebrochenes Echo.
    Vorsichtig ging ich auf den Höhleneingang zu, blieb abermals stehen und lauschte, vernahm aber immer noch nichts außer dem
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