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Hexer-Edition 04: Tage des Wahnsinns

Hexer-Edition 04: Tage des Wahnsinns

Titel: Hexer-Edition 04: Tage des Wahnsinns
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sanftem Schütteln an der Schulter aufzuwecken und ihm auf die Füße zu helfen, und wieder spürte ich diesen eisigen, mit einem Gefühl quälender Hilflosigkeit gepaarten Zorn. Sie hatten uns gejagt wie die Tiere. Der Zorn des aufgeputschten Mobs war so gewaltig gewesen, dass sie unser Boot angezündet und Petroleum ins Hafenbecken geschüttet hatten, um uns bei lebendigem Leibe zu verbrennen.
    Nun, sie hatten die Quittung bekommen, und zwar prompt. Das brennende Petroleum hatte sich mit rasender Geschwindigkeit über das ganze Hafenbecken ausgebreitet und in wenigen Augenblicken nicht nur das Dutzend Schiffe, das dort vertäut lag, sondern auch die angrenzenden Gebäude und Lagerhäuser in Brand gesetzt. Und das Feuer tobte noch immer, obwohl die ganze Stadt zusammengekommen war, um es zu löschen. Dabei glich es schon fast einem Wunder, dass der Brand nicht noch weiter um sich gegriffen und die ganze Stadt in Schutt und Asche gelegt hatte.
    »Hilf mir«, sagte Howard leise. Ich schrak aus meinen Gedanken hoch, fuhr fast schuldbewusst herum und legte die Hände unter Rowlfs Rücken. Er war wach und versuchte uns zu helfen, aber seine Bewegungen waren ohne Kraft und ziellos. Er stürzte fast, als er endlich auf seinen Füßen stand und sein Gewicht schwer auf Howards und meine Schultern stützte.
    Der Regen peitschte uns eisig in die Gesichter, während wir uns zum Tor schleppten. In den schräg fallenden Schleiern glitzerte Eis und ich roch Schnee. Es war absurd, aber mir fiel plötzlich ein, dass es fast Dezember und nicht mehr lange bis Weihnachten war. Rowlfs Gewicht drückte wie eine Tonnenlast auf meine Schultern und auch Howard taumelte, nachdem wir den Torbogen erreicht und in seinem Schatten stehen geblieben waren.
    Behutsam löste er Rowlfs Arm von seiner Schulter, lehnte ihn halbwegs gegen die Wand und wies mit einer Kopfbewegung zur Straße. »Halt ihn einen Moment«, sagte er. »Ich sehe nach, ob die Straße frei ist.«
    »Das hat doch keinen Sinn«, widersprach ich. »Wir schaffen es nicht, Howard. Und Rowlf auch nicht.«
    Er schwieg. Sein Blick huschte besorgt über Rowlfs Gesicht und ich sah einen Ausdruck von Mutlosigkeit in seinen Augen, der neu an ihm war. Ich hatte immer gedacht, dass es nichts gäbe, was diesen Mann wirklich erschüttern könnte. Aber das stimmte nicht.
    »Wir brauchen Hilfe«, sagte ich, als Howard auch nach einer Weile noch keine Anstalten machte, mir zu antworten. »Einen Arzt. Oder wenigstens einen Wagen.«
    Howard antwortete auch diesmal nicht, aber das war auch gar nicht nötig. Die Bewohner von Durness hielten uns für tot; viele von ihnen glaubten uns mit eigenen Augen in den brennenden Fluten des Hafenbeckens umkommen gesehen zu haben, und das war auch gut so. Denn wenn sie auch nur vermuteten, dass wir noch am Leben waren, würde die Hexenjagd von vorne beginnen. Und eine Hexenjagd war es im wahrsten Sinne des Wortes. Die Männer und Frauen von Durness hielten uns – und wohl im Besonderen mich – für Hexer, Diener des Satans. Das Unheil, das die entfesselten Kräfte des Necronomicons über die kleine Hafenstadt gebracht hatte, fiel auf uns zurück, und sie reagierten, wie Menschen seit Urzeiten auf alles reagiert hatten, was sie nicht verstanden und was sie ängstigte: mit Hass und Gewalt.
    »Kein … Arzt«, murmelte Rowlf. Er hatte meine Worte verstanden, aber es hatte eine Weile gedauert, bis er die Kraft gefunden hatte, darauf zu antworten. »Niemand darf … uns sehen, Kleiner. Sie … dürfen nicht wissen, dass wir … noch leben.«
    »Zumindest in deinem Fall kann sich das ganz schnell ändern, Rowlf«, antwortete ich ernst. »Der nächste Arzt dürfte in Bettyhill sein. Und das sind dreißig Meilen.«
    »Robert hat Recht«, stimmte Howard düster zu. »Das schaffst du nicht.«
    »Dann lasst mich zurück«, antwortete Rowlf. Seine Stimme zitterte vor Schwäche, aber ich spürte, dass er seine Worte vollkommen ernst meinte.
    »Das kommt überhaupt nicht in Frage«, widersprach ich. »Ich werde irgendwo Hilfe auftreiben. Wenn schon keinen Arzt, dann wenigstens einen Wagen.« Ich deutete mit einer zornigen Kopfbewegung auf die Straße hinaus. Der Widerschein des Großbrandes unten am Hafen ließ das feuchte Kopfsteinpflaster aufleuchten, als wäre es in Blut getaucht. »Irgendjemanden muss es doch in dieser verdammten Stadt geben, der seine fünf Sinne noch beisammen hat.«
    »Und wen?«, fragte Howard düster.
    Diesmal blieb ich die Antwort schuldig. Die Wut,
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