Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexer-Edition 04: Tage des Wahnsinns

Hexer-Edition 04: Tage des Wahnsinns

Titel: Hexer-Edition 04: Tage des Wahnsinns
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
würde ich einen Wagen oder wenigstens ein Pferd auftreiben – wozu hatte ich den größten Teil meines Lebens unter Dieben und Halsabschneidern verbracht?
    Aber ich tat es nicht. Es ging nicht nur darum, einen Wagen zu bekommen. Wir brauchten einfach Hilfe, wenn wir auch nur eine winzige Chance haben wollten. Statt dessen legte ich die Hand auf die Türklinke, lauschte einen Moment und drückte sie entschlossen herunter und betrat das dahinter liegende Zimmer.
    Miss Winden war allein mit ihrer Tochter, wie ich gehofft hatte. Sie saß, leicht nach vorne gebeugt und ein sauberes Tuch in der Hand, mit dem sie offenbar die Stirn ihrer Tochter befeuchtet hatte, auf der Kante von Sallys Bett. Als ich die Tür öffnete, drehte sie sich ohne sonderliche Hast herum, sah auf – und erstarrte.
    Ich war mit einem einzigen Satz bei ihr. Als der Schrecken von ihr abfiel und sie den Mund öffnete, um zu schreien, riss ich sie unsanft hoch, presste ihr die Hand auf den Mund und hielt sie mit der anderen fest. »Bitte«, sagte ich hastig. »Schreien Sie nicht, Miss Winden. Ich tue Ihnen nichts!«
    Einen Moment lang wehrte sie sich mit verzweifelter Kraft, aber ihr Widerstand erlahmte so schnell, wie er aufgeflammt war. Ihre Augen weiteten sich. Der Ausdruck des Schreckens, der bei meinem Eintreten darin erschienen war, wandelte sich plötzlich in Furcht, dann in Grauen. Ich lockerte meinen Griff ein wenig, presste die Hand jedoch weiter auf ihre Lippen.
    »Versprechen Sie mir, nicht zu schreien«, sagte ich hastig. »Ich bitte Sie, Miss Winden. Alles, was ich will, ist, dass Sie mir einen Moment zuhören.«
    Sie nickte, aber ich ließ noch immer nicht los. »Versprechen Sie mir, nicht zu schreien?«, fragte ich noch einmal.
    Diesmal dauerte es länger, ehe sie reagierte: mit einem Schließen der Augen, das ich als Nicken deutete. Langsam nahm ich die Hand herunter und ließ gleichzeitig – wenn auch noch immer gespannt und bereit, jederzeit wieder zuzupacken – ihr Handgelenk los.
    Die dunkelhaarige Frau prallte mit einem nur halb unterdrückten Schluchzen zurück, bis ihre Kniekehlen gegen das Bett des Mädchens stießen, schlug die Hand vor den Mund und starrte mich aus Schreck geweiteten Augen an.
    »Was … was wollen Sie?«, keuchte sie. »Was wollen Sie hier?«
    »Ihre Hilfe«, antwortete ich. »Wir brauchen Ihre Hilfe, Miss Winden.«
    »Meine …« Sie stockte, starrte Hilfe suchend an mir vorbei zu der offenen Tür in meinem Rücken und rang hilflos mit den Händen. »Wieso sind Sie hier?«, stammelte sie. »Wieso leben Sie noch? Ich dachte, Sie … Sie sind …«
    »Tot?« Ich schüttelte den Kopf, drehte mich um und schloss die Tür. »Das denken alle, Miss Winden, aber es stimmt nicht. Wir konnten uns retten. Aber wir brauchen Hilfe.«
    »Hilfe? Von mir?« Ihre Worte klangen fast wie ein Schrei. Sie schüttelte den Kopf, so heftig, dass ihre Haare flogen. »Ich habe nichts mit Ihnen zu schaffen. Gehen Sie. Gehen Sie weg. Ich bin nur eine hilflose Frau. Ich kann Ihnen nicht helfen. Und ich will es auch nicht.«
    Ich starrte sie einen Moment an, ging wieder zu ihr hinüber und näherte mich dem Bett mit dem schlafenden Mädchen. Als ich zwei Schritte davon entfernt war, vertrat mir Miss Winden den Weg. Sie zitterte vor Angst, aber der Impuls, ihre Tochter zu schützen, war stärker. Ich blieb stehen und blickte über ihre Schulter hinweg auf das reglos daliegende Mädchen herab. Sallys Gesicht war so blass und eingefallen wie am Vorabend und ihr Atem ging noch immer stoßweise und unruhig, aber es war jetzt nur noch das Fieber, mit dem sie rang.
    »Sie sind es uns schuldig, Miss Winden«, sagte ich leise.
    Sie fuhr zusammen, als hätte ich sie geschlagen. Ihre Lippen zuckten und ihr Blick wanderte unstet zwischen dem bleichen Antlitz ihrer Tochter und meinem Gesicht hin und her. Sie schwieg.
    »Sie sind es uns schuldig, Miss Winden«, sagte ich noch einmal. »Ohne Howards Hilfe wäre Ihre Tochter jetzt tot. Nun brauchen wir Ihre Hilfe.« Ich kam mir bei diesen Worten so abscheulich und gemein vor wie noch nie zuvor in meinem Leben und ich sah, wie sie unter jeder einzelnen Silbe wie unter einem Hieb zusammenfuhr. Aber es musste sein. Ich hatte keine Wahl, wenn ich Rowlfs Leben retten wollte.
    »Bitte«, fügte ich, leiser und – ohne dass es mir im ersten Moment selbst zu Bewusstsein gekommen wäre – in fast flehendem Tonfall hinzu. »Ich tue es nicht gerne, aber einer meiner Freunde wird sterben, wenn Sie uns nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher